Page 16 - Der Darwinismus als soziale Waffe
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Mendelschen Vererbungsgesetze waren noch gar nicht entdeckt. Seine Evolutionstheorie entwickelte er also unter
unzureichenden wissenschaftlichen Bedingungen und als wissenschaftlicher Amateur. So kam er zur unwis-
senschaftlichen Theorie, dass in der Natur alles nach dem Prinzip der natürlichen Selektion der jeweils Stärksten
abläuft. Dieser auf völlig falschen Voraussetzungen beruhenden Theorie zufolge galt ihm das ganze Leben als ein
Werk des Zufalls. Deshalb verneinte er die göttliche Schöpfung. (Gott ist erhaben darüber.) Nach Erscheinen von The
Origin of Species (Der Ursprung der Arten) verfolgte er seine falsche Theorie weiter in dem Buch The Descent of Man
(Die Abstammung des Menschen). Dort legte er dar, dass die von ihm so genannten unterentwickelten Rassen schon
in naher Zukunft aussterben und die höherentwickelten Rassen sich weiter entwickeln und siegen würden. Durch
seine Übertragung der Evolutionstheorie auf die menschliche Gattung und weitere ähnliche Schriften wurde
Darwin auch zum Stammvater des Sozialdarwinismus.
Seine Anhänger setzten sein Werk lediglich fort. Die bekanntesten Befürworter und Praktiker des
Sozialdarwinismus waren Herbert Spencer und Darwins Vetter Francis Galton in England, sowie der amerikanische
Forscher William Graham Sumner und der Darwinist Ernst Haeckel in Deutschland - und später gnadenlose faschis-
tische Rassisten wie Adolf Hitler.
Schon bald wurde die Ideologie des Sozialdarwinismus zu einem ideologischen Instrument der
Selbstrechtfertigung für Rassisten, Imperialisten, Kapitalisten und Politiker, die ihre Pflicht zum Schutz der Armen
und Bedürftigen nicht erfüllten. Fortan konnten sie im Namen des pseudowissenschaftlichen Sozialdarwinismus
alles als menschlichen Fortschritt bezeichnen, was in Wirklichkeit Unterdrückung der Schwachen, Armen und soge-
nannten “minderwertigen“ Rassen, Auslöschung der Kranken und Behinderten sowie kleiner Unternehmen durch
Großkonzerne war. Der Mangel an Mitleid und Gewissen im Kontext des Sozialdarwinismus wurde einfach als
naturgegebener Pfad der sogenannten Evolution dekretiert.
Insbesondere rechtfertigten vor allem amerikanische Kapitalisten das von ihnen geschaffene Klima des hem-
mungslosen Wettbewerbs zu ihren Gunsten mit Darwin-Zitaten. Aber natürlich war dies nichts anderes als ein gi-
gantisches Täuschungsmanöver. Es ging ihnen in Wirklichkeit nur darum, ihrem gnadenlosen Konkurrenzdenken
ein wissenschaftliches Mäntelchen umzuhängen. Andrew Carnegie zum Beispiel, einer der Großkapitalisten der
damaligen Zeit, hat 1889 in einer Rede folgendes geäußert:
“Der Preis, den die Gesellschaft bezahlt für das Gesetz des Wettbewerbs ist ebenso groß wie der, den sie für
Annehmlichkeiten und Luxus bezahlt. Aber die Vorteile des Konkurrenzprinzips überwiegen die von ihm erzeugten
Kosten - denn wir verdanken ihm unsere wundervolle technische Entwicklung, die uns so viele Vorteile bringt ...
Wenngleich das Konkurrenzprinzip manchmal hart für die Individuen sein mag, ist es jedoch vorteilhaft für den
Erhalt der menschlichen Gattung, weil es in allen Bereichen das Überleben des Stärkeren fördert. Deshalb akzep-
tieren und begrüßen wir es als Bedingung, der wir uns unterwerfen müssen, zusammen mit ungleichen
Lebensbedingungen und der Konzentration der Wirtschaft und des Reichtums in den Händen weniger, weil dies
nicht nur nützlich, sondern auch unerlässlich ist für die Zukunft der Menschheit.“ 3
Gemäß dem Sozialdarwinismus ist das einzige Ziel einer Rasse ihre physische, wirtschaftliche und politische
Entwicklung. Verglichen damit gelten individuelles Wohlbefinden und Glück, Frieden und Sicherheit als unwichtig.
Ebenfalls nicht gefragt ist Mitleid mit Leidenden und Hilferufenden, für alle, denen es an Nahrung, Arzneimitteln
und Schutz für ihre Kinder, Familien, Eltern und Großeltern mangelt, für die Alten und Machtlosen. Im
Zusammenhang der sozialdarwinistischen Theorie gilt jemand, der arm, aber moralisch aufrecht durchs Leben geht,
als wertlos, weshalb sein Tod als nützlich für die Gesellschaft gilt. Reich, aber moralisch verdorben zu sein, gilt
hingegen als äußerst wichtig für die Fortentwicklung der Rasse, und - egal unter welchen Bedingungen - solche
Individuen gelten als wertvoll. Aber diese abstruse Auffassung hat den Sozialdarwinismus in eine geistige und
moralische Sackgasse gebracht. Schon 1879 enthüllte der amerikanische Sozialdarwinist William Graham Sumner
unfreiwillig den Lug und Trug dieser Theorie:
“... können wir dieser einzigen Alternative nicht entkommen: Freiheit, Ungleichheit, Überleben des Stärkeren;
Unfreiheit, Gleichheit, Überleben der Schwächsten. Erstere Alternative treibt die Gesellschaft nach vorn und begün-
stigt ihre besten Angehörigen; letzere hingegen verhindert den gesellschaftlichen Fortschritt und begünstigt die
gesellschaftlich Schwachen. 4
Die blutrünstigsten Anhänger des Sozialdarwinismus waren allesamt Rassisten, unter ihnen waren zweifellos
die gefährlichsten die Nazi-Ideologen unter ihrem Wortführer Adolf Hitler. Die schlimmsten Folgelasten des
Sozialdarwinismus haben die Nazis zu verantworten, weil sie begannen, der Forderung von Francis Galton zu fol-
gen und die Eugenik anzuwenden, deren Ziel die Ausrottung “lebensunwerten Lebens“ zwecks Züchtung “höher-
14 DER DARWINISMUS ALS SOZIALE WAFFE