Page 228 - Für denkende Menschen
P. 228
Heutzutage, am Ende des 20 Jh. stehen wir immer noch dem selben größten
ungelösten Problem gegenüber das uns zu Beginn des 20 Jh. konfrontierte: Wie
begann das Leben auf der Erde? 6
DIE KOMPLIZIERTE STRUKTUR DES LEBENS
Der Grund, warum sich die Evolutionstheorie beim Ursprung des Lebens in
einer Sackgasse befindet, ist, dass bereits die einfachsten lebendigen Organis-
men unglaublich komplizierte Strukturen besitzen. Die Zelle eines Lebewesens
ist komplizierter als alle technologischen Produkte, die die Menschheit je her-
vorgebracht hat. Auch heute kann selbst in den bestausgerüsteten Laboratorien
des 20. Jh. keine einzige Zelle synthetisch hergestellt werden.
Die Anzahl der Bedingungen, die für die Entstehung einer Zelle erfüllt sein
müssen, ist so groß, dass ihre Entstehung mit Zufällen nicht erklärt werden
kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass die 500 Aminosäuren, aus denen ein durch-
schnittliches Proteinmolekül besteht, in der richtigen Anzahl und Reihenfolge
aneinandergefügt sind, plus die Wahrscheinlich-keit, dass all die enthaltenen
Aminosäuren ausschließlich linksdrehend und durch Peptidbindungen verbun-
den sind, ist 10 950 zu 1. In der Mathematik gelten Wahrscheinlichkeiten, die
kleiner als 1 zu 10 50 sind, als "Nullwahrscheinlichkeit".
Das Molekül namens DNS jedoch, das im Zellkern jeder der 100 Trillionen
Zellen in unserem Körper verborgen liegt und die genetischen Daten aufbe-
wahrt, ist eine unglaublich große Datenbank. Wollten wir die Information, die
in der DNS verschlüsselt ist niederschreiben, so müssten wir eine umfangreiche
Bibliothek mit 900 Bänden von Enzyklopädien anlegen, deren jede 500 Seiten
umfasste.
An dieser Stelle ergibt sich ein interessantes Dilemma: Während sich die
DNS nur mit Hilfe einiger Enzyme vervielfältigen kann, die im Grunde genom-
men Proteine sind, kann die Synthese dieser Enzyme sich nur durch bestimm-
te Information realisieren, die im DNS Code enthalten ist: Da diese nun gegen-
seitig aufeinander angewiesen sind, müssen sie zum Zweck der Vervielfältigung
entweder gleichzeitig koexistieren, oder das eine muss vor dem anderen
"geschaffen" worden sein. Dadurch gerät das Szenario, das Leben sei selbstän-
dig entstanden, in eine Sackgasse.
In einem Artikel unter dem Titel "Der Ursprung des Lebens", der im Oktober
1994 in der Zeitschrift American Scientist veröffentlicht wurde, beschreibt Prof.
Leslie Orgel diese Wirklichkeit so:
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Proteine und Nukleinsäu-ren, die beide
komplexe Strukturen darstellen, zufällig zur gleichen Zeit und am gleichen Ort
entstanden sind, und dennoch erscheint es unmöglich, dass die einen ohne die
226 Für Denkende Menschen