Page 663 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Als Raphael so nun erzählt hatte, kam mir Allerlei zu Sinne, was in
den Sitten und Gesetzen dieses Volkes geradezu ungereimt erschien,
nicht nur bei Begründung ihrer Kriegsführung, ihrer gottesdienstlichen
Einrichtungen, ihrer Religion und obendrein noch anderer Einrichtungen,
sondern vor allem auch das, was das eigentliche Hauptfundament ihres
ganzen Bestandes ist, ihr Leben nämlich, ihre gemeinsame Lebensweise
ohne allen Geldverkehr, wodurch allein der ganze Adel, die Pracht, der
Glanz der wahren Majestät, wie es so die allgemeine Ansicht ist, die
Zierde und der Schmuck des Staates, von Grund aus aufgehoben wird.
Gleichwohl machte ich keine Einwendung, da ich wußte, daß er vom
langen Erzählen ermüdet war, und da ich durchaus nicht die Gewißheit
hatte, daß er es gut aufgenommen haben würde, wenn ich ihm
widersprochen hätte, namentlich, da ich mich erinnerte, daß er Einige
aus diesem Anlasse getadelt hatte, als ob sie fürchteten nicht für
gescheidt genug gehalten zu werden, wenn sie nicht etwas ausfindig
machten, was sie gegen eine gegenteilige Meinung vorbringen konnten.
So lobte ich denn jene Einrichtungen und seine Rede, nahm ihn
sodann bei der Hand und führte ihn in das Speisezimmer, indem ich
bemerkte, wir würden wohl noch später Zeit finden, über dieses Thema
nachzudenken und des Langen und Breiten darüber zu Sprechen.
Möchte es dazu doch noch einmal kommen!
Indessen, wenn ich auch nicht Allem, was er zum Besten gegeben,
beistimmen kann, obwohl er ohne Widerspruch ein höchst gelehrter, in
den Weltangelegenheiten gründlich unterrichteter Mann war, so muß ich
doch ohne weiteres gestehen, daß es im utopischen Staatswesen eine
Menge Dinge gibt, die ich in anderen Staaten verwirklicht zu sehen
wünsche.
Freilich wünsche ich das mehr, als ich es hoffe.
Ende des zweiten Buches.
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