Page 660 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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führt, das ihm der Müssiggang oder ein ganz überflüssiges Geschäft
                ermöglicht, während hingegen ein Tagelöhner, ein Fuhrmann, ein
                Schmied, ein Landmann, die so viel und so hart und emsig arbeiten

                müssen, wie es kaum die Zugthiere auszuhalten im Stande sind, deren
                Arbeiten überwies so unentbehrlich sind, daß kein Staatswesen auch nur
                ein Jahr ohne dieselben bestehen könnte, einen so erbärmlichen
                Lebensunterhalt erwerben, ein so elendes Leben führen, daß die
                Lebensbedingungen der Zug- und Lastthiere als bei weitem günstiger
                erscheinen könnten, denn sie werden nicht so zu endloser Arbeit
                angehalten, und ihre Kost ist kaum eine schlechtere, aber ihr Leben ist

                dadurch angenehmer daß sie für die Zukunft nicht zu fürchten brauchen.
                     Die genannten Personen hingegen hetzt unfruchtbare, öde Arbeit in
                der Gegenwart ab, und der Gedanke an ein hilfeentblößtes Alter martert
                sie zu Tode, denn ihr täglicher Lohn ist so gering, daß er unmöglich für
                den Tag ausreichen kann, geschweige denn, daß auch nur das Geringste
                davon erübrigte, was zur Verwendung im Alter zurückgelegt werden

                könnte.
                     Ist das nicht ein ungerechter und undankbarer Staat, der den
                Adeligen, wie sie heißen, und den Goldschmieden, und den übrigen
                Leuten ähnlichen Schlages, oder Müßiggängern oder bloßen
                schmarotzenden Fuchsschwänzern, oder denen, die nur für Herstellung
                nichtiger Vergnügungen thätig sind, das beste Wohlleben verschafft, den
                Bauern, Köhlern, Tagelöhnern, Fuhrleuten und Schmieden dagegen,

                ohne welche ein Staat überhaupt nicht existiren konnte, gar nichts Gutes
                zu Theil wird?
                     Aber nachdem ein solcher Staat die Arbeitskräfte im blühendsten
                Lebensalter mißbraucht hat, belohnt er die von der Last der Jahre und
                Krankheit Gebeugten, von allen Hilfsmitteln Entblößten, so vieler
                durchwachter Nächte, so vieler und so großer Dienste uneingedenk in

                schnödester Undankbarkeit mit einem jammervollen Tode, dem man die
                Leute überläßt.
                     Und an diesem spärlich zugemessenen Lohne der Armen knappsen
                die Reichen täglich noch ein klein wenig ab, nicht nur durch private List
                und Trug der Einzelnen, sondern auch durch öffentliche Gesetze, so daß,
                was früher Unrecht schien, den um den Staat so wohlverdienten
                Arbeitern mit Undank zu lohnen, sie jetzt aus dem Wege der

                Gesetzgebung sogar zu einem rechtlichen Zustande gemacht haben.
                     Wenn ich daher alle die Staaten, welche heutzutage in Blüthe stehen,
                durchnehme und betrachte, so sehe ich, so wahr mir Gott helfe, in ihnen
                nichts Anderes, als eine Art Verschwörung der Reichen, die unter dem





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