Page 661 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 661

Deckmantel und Vorwande des Staatsinteresses lediglich für ihren
                eigenen Vortheil sorgen, und sie denken alle möglichen Arten und
                Weisen und Kniffe aus, wie sie das, was sie mit üblen Künsten

                zusammen gerafft haben, erstens ohne Furcht es zu verlieren, behalten,
                sodann wie sie die Arbeit aller Armen um so wenig Entgelt als möglich
                sich verschaffen mögen, um sie auszunutzen.
                     Diese Anschläge, welche die Reichen im Namen der Gesammtheit,
                also auch der Armen aufgestellt und durchzuführen beschlossen haben,
                wurden dann zu Gesetzen erhoben. Aber wenn diese grundschlechten
                Menschen alle Besitzthümer, die für Alle hingereicht hätten, unter sich

                getheilt haben – wie weit sind sie dann noch von dem
                Glückseligkeitszustande des utopischen Staatswesens entfernt!
                     Aus diesem ist zugleich mit dem gebrauche des Geldes aller Geiz
                und alle Gier verbannt, eine Last – und welcher – von Verdrießlichkeiten
                abgeschnitten und welche üppige Saat aller Laster mit der Wurzel
                ausgereutet! Denn, wer weiß nicht, daß Betrug, Diebstahl, Raub,

                Aufruhr, Zank und Streit, Aufstände, Mord, Verrath, Giftmischerei, die
                durch tägliche Strafen mehr geahndet als verhindert werden, mit der
                Beseitigung des Geldes verschwinden und dazu Furcht, Angst, Sorgen,
                Plagen, Nachtwachen, die alle mit dem Gelbe zugleich aus der Welt
                gehen; ja, die Armuth selbst die man doch allein für des Geldes bedürftig
                hält, würde von Stund' an, wo das Geld hinweggenommen wäre,
                ebenfalls abnehmen.

                     Am dir das ganz klar zu machen, so stelle dir einmal ein
                unfruchtbares Jahr, ein Jahr des Mißwachses vor, in dem eine
                Hungersnoth kaufende von Menschen dahingerafft hätte, – da behaupte
                ich nun geradezu, daß zu Ende dieser Hungersnoth so viel Getreide in
                den Kornspeichern der Reichen, wenn sie ausgeleert würden, gefunden
                werden könne, daß es, unter die Nothleidenden vertheilt, welche

                Auszehrung und schleichender Fieber weggerafft haben, überhaupt kein
                Gefühl von der Ungunst des Himmels und des Bodens hätte aufkommen
                lassen; so leicht wäre der Lebensunterhalt zu beschaffen, wenn nicht das
                gesegnete Geld, welches insbesondere dazu erfunden ist, daß es uns ja
                eben die Pforten zu den Hallen des Lebensgenusses öffne, dieselben
                umgekehrt gerade verschlösse.
                     Das fühlen, wie ich nicht zweifle, auch die Reichen, und sie wissen

                auch sehr wohl wie viel besser die Verhältnisse wären, in denen man
                keine notwendige Sache entbehrte, als daß man Ueberfluß an vielen
                überflüssigen Dingen hat, Verhältnisse, in denen man lieber zahlreichen







                                                          660
   656   657   658   659   660   661   662   663   664   665   666