Page 36 - Mariazell 2016
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"Weg der Barmherzigkeit" ABENDLOB
Mittwoch
Zweifelnde beraten
Der Zweifel gehört zum Leben. Zweifel macht den Menschen menschlich.
Solange der Mensch zweifelt, macht er sich auf den Weg, sucht er weiter nach
der Wahrheit und nach dem Leben.
Wer meint, er würde keinen Zweifel kennen, erhebt sich über sein Menschsein.
Solange wir leben, zweifeln wir. Aber es kommt darauf an, durch den Zweifel
hindurch immer wieder zum Glauben zu gelangen.
Der Zweifel gehört zum Leben.
Wir zweifeln oft, ob wir richtig liegen, ob wir den rechten Weg gehen. Wir
zweifeln vor einer Entscheidung, was die richtige Entscheidung ist. Und Zweifel
gehört wesentlich zum Glauben.
Manchmal klagen sich alte Leute im Beichtstuhl an, dass sie am Glauben
gezweifelt haben. Doch der Glaubenszweifel zwingt uns, zu unterscheiden
zwischen den Bildern, die wir uns von Gott gemacht haben, und dem wahren
Gott, der letztlich immer der ganz andere und unbegreifliche Gott ist.
Der Glaubenszweifel bewahrt mich davor, mich in Sicherheit zu wiegen. Und
er bewahrt mich davor, mich über andere zu stellen. Die Zweifel laden mich
ein, solidarisch mit all den Ungläubigen zu werden. Denn meine Zweifel zeigen
mir, dass auch in mir Unglauben ist. Wenn ich ihn umarme, verliert er seine
destruktive Kraft.
Im Beten zweifeln.
Beim Beten und Meditieren kommen mir manchmal Zweifel hoch: „Ist das alles
nur Einbildung? Machst du dir deine Theologie zurecht, damit du dich besser
fühlst und besser mit deiner Angst vor dem Tod und mit deiner Einsamkeit
zurechtkommst?“
Podersdorfer Wallfahrt 2016 Seite 31