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TECHNIK KABINEN-ENTWICKLUNG
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1 Komplex: der Aufstieg in das obere Bett
2 Reflektierende Kugeln streuen das Infrarotlicht
der Kameras zurück
3 22 Kameras nehmen die Bewegungsabläufe auf
4 Die Kugeln werden mit Doppelklebeband direkt 4
auf der Haut befestigt
abgeschotteten Labor stattfanden, denn die Pro- basierten Ergonomiestudien entwickelt werden. Tätigkeiten abseits der Lenkaufgabe bieten wird.
banden/innen mussten die Tests größtenteils in „Wobei wir natürlich nicht sagen, wann eine Basis für die Entwicklung dieses Fahrerhauses
Unterwäsche durchlaufen. „Die Testreihen wer- neue Generation kommen wird“, wirft die Kol- wird der mal dicke, mal dünne, mal große oder
den mit derzeit 22 Kameras gefilmt und fotogra- legin von der Presseabteilung schneller ein, als kleine virtuelle Trucker aus dem Computer sein,
fiert. Diese Spezialkameras sind mit Infrarotlicht man pflichtgemäß die Frage stellen kann. Doch der bei Bedarf sogar zur Truckerin mutiert.
ausgestattet, das wiederum auf kugelförmige zwei Faktoren manchen eine grundsätzliche
Reflektoren trifft, die wir mit Doppelklebeband Neuorientierung in absehbarer Zeit wahrschein- HEISST ERGONOMISCH AUCH, DASS DER
an die Versuchspersonen kleben. Das haftet auf lich: Einerseits ist das die Änderung der Fahrer- ARBEITSPLATZ KOMFORTABEL IST?
der blanken Haut wesentlich besser als auf Klei- hausdimensionen, die seit Jahren von EU- Eine Frage wird der Avatar allerdings nicht so
dung“, erläutert Sauerbier. Anhand der Aufzeich- Gremien und Herstellern diskutiert wird. Der schnell beantworten können: Wann bezeichnen
nungen lässt sich erkennen, wie stark sich zum zweite Faktor ist die fundamentale Veränderung Fahrer oder Fahrerin ihren Arbeitsplatz als kom-
Beispiel die Beugung von Gelenken verändert, des Arbeitsalltags von Lkw-Fahrern. Zumindest fortabel? Ein Begriff, der stark von individuellen
wenn unterschiedlich große Personen ins Fah- teilautomatisiertes Fahren wird mittelfristig Vorlieben abhängt. Wobei es den Ergonomen
rerhaus klettern oder wenn für den Einstieg fünf Realität werden. Dieser Entwicklung muss eine hier nicht um Einzelelemente wie das Sitzen hin-
statt vier Stufen zur Verfügung stehen. Weiterentwicklung des Fahrerarbeitsplatzes un- ter dem Lenkrad geht, sondern um ein dynami-
ter ergonomischen Gesichtspunkten folgen. sches Gesamtbild, das alle Bewegungsabläufe des
WENN NEUN VON ZEHN PERSONEN SICH Stechow und Sauerbier glauben, dass die Fahreralltags umfasst.
SO BEWEGEN, TUN DAS AUCH DIE FAHRER Kabine eines Daimler-Trucks (Actros wird der Aber irgendwann wird der Kollege im Rech-
Die letzten Versuche drehten sich um das Erklim- dann wohl nicht mehr heißen) fundamental ner sicher so weiterentwickelt, dass er auch die
men des oberen Betts. Der Aufstieg ist ein extrem anders gedacht werden könnte als bis dato – und dynamische Beurteilung von Komfort be-
komplexer Bewegungsablauf, der stark von den zudem mehr Komfort sowie mehr Platz für herrscht. Richard Kienberger
individuellen körperlichen Voraussetzungen
geprägt wird. Die Ergonomiespezialisten müssen
dabei auch intuitive Bewegungsabläufe erfassen:
Greifen neun von zehn Versuchspersonen bei- ARVIDA: Herstellerübergreifendes Projekt
spielsweise ohne nachzudenken an eine vorhan-
dene Stange oder in eine Aussparung zwischen Die Abkürzung ARVIDA hofer-Institut oder das zu simulieren. Wobei sich
den Staukästen, werden das später auch die Fah- steht für „Angewandte Refe- Chemnitzer Institut für Me- sowohl die Versuchsperson
rer machen. Wobei die künftig vielleicht umden- renzarchitektur für virtuelle chatronik. Die Arbeiten an als auch die Rahmenbedin-
ken müssen. Im Versuchstruck jedenfalls erfolg- Dienste und Anwendun- diesem Projekt sind so auf- gungen (wie das Aussehen
te der Aufstieg nicht über eine Leiter, sondern gen“. An diesem von der wendig, dass dafür die Res- einer Lkw-Kabine) möglichst
über die Ablage in der Mittelkonsole und die Bundesregierung geförder- sourcen eines einzelnen umfassend verändern lassen
Lehne des Beifahrersitzes. Sollte die Computer- ten Projekt beteiligen sich Unternehmens nicht aus- sollten. Am Ende der Ent-
simulation später einmal ergeben, dass das wirk- unter der Konsortialführung reichen würden. Ziel ist wicklung soll die Software
lich die bequemste und sicherste Variante ist, von VW zahlreiche Indust- es, eine Software zu entwi- breit gestreut verwendbar
können Designer und Konstrukteure diese Er- rieunternehmen wie Daim- ckeln, die bisher schon vor- sein und bei Fahrzeugher-
kenntnisse entsprechend umsetzen. Vielleicht ler oder Hamburger Werft handene Bausteine vernetzt stellern ebenso eingesetzt
wird die endgültige Lösung im realen Future und wissenschaftliche und es erlaubt, unterschied- werden wie von Werften,
Truck aber auch völlig anders aussehen. Forschungseinrichtungen, lichste Bewegungsabläufe die sich mit dem Bau von
Die nächste Truck-Generation von Daimler zum Beispiel das Fraun- realitätsnah am Computer U-Booten beschäftigen.
dürfte schon mittels der neuen computer-
44 Trucker 1/2017