Page 43 - Torries
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                                                                                    1    Die Versuchskabine ist gespickt mit Kameras
                                                                                    2   Roland Stechow und Richard Sauerbier (r.) vor ihrer
                                                                                      gestrippten Actros-Kabine
                                                                                    3   Mit dem Projekt „Arvida“ werden komplexe Bewe-
                                                                                      gungsabläufe auf dem Computer durchgespielt
                                                                                    4   Praktikantin Luisa simuliert für den TRUCKER
           2                                     3                                    noch einmal, welche Bewegungen der Studenten in
                                                                                      zahlreichen Varianten aufgezeichnet wurden





        machen und bei Bedarf komplett anders positi-  beitsplatz in einem Scania natürlich fundamen-  ergonomische Versuchslabor in Böblingen nur
        onieren oder die Einstiegshöhe für das Bett eben-  tal anders aussieht als im Actros – diese unter-  durch eine dicke Mauer von der markenüber-
        so verändern wie den Verstellbereich des Sitzes.  schiedlichen Ansätze sind sozusagen das Ge-  greifenden Designabteilung getrennt ist. Doch
                                               rüst, um welches der Rest des Fahrerhauses   die Daimler-Mitarbeiter begreifen das als Chan-
        KANN MAN EINE KABINE ENTWICKELN,       gezimmert wird. Ein Scania-Arbeitsplatz ließe   ce für die Zukunft, Design und Ergonomie noch
        IN DER SICH JEDER FAHRER WOHLFÜHLT?    sich unmöglich in ein Actros-Fahrerhaus ver-  stärker als bisher zu verzahnen. Damit der vir-
        Ergonomie bedeutet übersetzt die Schaffung   pflanzen und umgekehrt, das Interieur passt   tuelle Trucker aber die richtigen Daten liefern
        möglichst optimaler Arbeitsbedingungen für   nur in die jeweilige Silhouette. Oder, so die   kann, muss eine neue, plattformübergreifende
        einen Menschen. Jeder Fahrer (oder jede Fah-  Daimler-Experten: „Das Kabinendesign ist kein   Software für die 3D-Simulation geschaffen wer-
        rerin) kennt das Probleme, das damit verbunden   Zufall, sondern basiert auf komplexen Überle-  den (siehe Kasten nächste Seite).
        ist: Kann man Lenkrad und Sitze so justieren,   gungen eines Herstellers, in denen die Ergono-
        dass es „passt“? Hat man bei der optimalen Sitz-  mie eine ganz entscheidende Rolle spielt.“  STUDENTEN, DIE LKW FAHREN KÖNNEN,
        Lenkrad-Kombination noch einen guten Blick   Die Ergonomie konnte bislang nur an den   SIND ALS PROBANDEN BEGEHRT
        auf Spiegel und Instrumente? Sind Radio und   ersten vorhandenen Modellen neu zu entwi-  Im Böblinger Versuchslabor wurden jahrelang
        Navi so positioniert, dass man nicht auf den Park-  ckelnder Fahrzeuge getestet werden. Stellte sich   verschiedene Versuchspersonen immer wieder
        platz fahren muss, um gefahrlos einen anderen   dabei eine Lösung als nicht praktikabel heraus,   beim Durchspielen von Standardsituationen ver-
        Sender oder ein anderes Ziel einzustellen?   musste der komplette Prozess wiederholt wer-  messen. Sie simulierten an einem speziell prä-
           Diese Fragen stellen Designer und Konst-  den – also neues Design, neuer Modellbau, neue   parierten Fahrerhausmodell beispielsweise das
        rukteure oft vor nahezu unlösbare Probleme. Es   Testreihen mit Dutzenden Versuchspersonen,   Besteigen der Kabine oder das Hochklettern in
        ist schlechterdings unmöglich, den hochkom-  die das 95-Prozent-Spektrum abbilden.  das obere Bett. „Wir haben dafür einen Pool von
        plexen Arbeitsplatz Lkw so zu gestalten, dass   Genau an diesem Punkt setzt das Projekt   Studenten, die den Bevölkerungsquerschnitt
        sich ALLE Fahrer darin gleichermaßen wohl-  ARVIDA an, mit dem Sauerbier und Stechow   repräsentieren, was die körperlichen Vorausset-
        fühlen. Das Ziel der Entwickler ist daher der   befasst sind. Lassen sich Fragen der Ergonomie   zungen betrifft. Besonders gerne nehmen wir
        „95-Prozent-Truck“. Bei der Entwicklung soll   schon vor dem Bau der ersten Modelle virtuell   aber Leute, die Lkw fahren können“, erklärt
        ein Spektrum möglichst optimal abgedeckt   am Rechner simulieren und liefern belastbare   Richard Sauerbier. Sie haben eine gewisse Rou-
        werden, das 95 Prozent des Bevölkerungsquer-  Antworten, erhöht dies letztlich die Produktqua-  tine, was die Arbeitsabläufe betrifft, und wissen,
        schnitts entspricht. Basketballer Nowitzki fällt   lität und den Reifegrad einer Entwicklung und   wo die wichtigsten Bedienelemente sitzen oder
        da mit knapp 2,15 Meter Größe leider nicht   erspart den Konstrukteuren viel Zeit. Vielleicht   welche Routinen Fahrer im beruflichen Alltag
        mehr darunter. Nun kommt hinzu, dass der Ar-  ist es lediglich einem Zufall geschuldet, dass das   benötigen. Gut, dass die Versuche in einem   ▶


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