Page 35 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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„Dahoam“ im Elternhaus.






















  Familienbetrieb Bäckerei: Die Frauen arbeiteten im Verkauf, und auch die Hunde mussten beim Brotausfahren helfen.

  In den Städten sorgte der Bäcker fürs tägliche Brot, auf dem Land buken die Frauen selbst entweder
  im eigenen Backofen oder in dem der Dorfgemeinschaft. Dennoch fanden die Bäcker auch auf dem
  Land einen Markt. Denn aus den Holzöfen der Bäuerinnen kamen in der Regel nur die haltbaren und
  nahrhaften Roggenbrote aus Sauerteig, während der Bäcker auch Produkte aus Weißmehl – Semmeln,
  Brezn und Brauchtums- oder Gebildbrote – anbot. Dabei kommt der Brezn eine besondere Rolle zu,
  sie  gilt  als  Symbol  des  Handwerks,  zahlreiche  Gerätschaften,  Siegel,  Aushängeschilder  und  die
  meisten  Bäckerwappen  zeigen  sie,  oft  flankiert  von  zwei  Löwen.  Für  diejenigen,  die  täglich

  Sauerteigbrot aßen, waren Brezn etwas ganz Besonderes: „Wenn der Vater in die Stadt ging, freuten
  wir uns sehr auf sein Kommen. Wir schauten ständig auf die Uhr, bis wir ihn endlich im Talgrund
  sahen.  Den  Hang  hinab  liefen  ihm  dann  fünf  Kinder  entgegen.  Er  hat  nie  vergessen,  Salzbretzen
  mitzubringen und für je zwei Kinder teilte er eine Bretzen. Meistens hatte er fünf dabei. Nie mehr
  habe ich so gute Bretzen gegessen“, erzählt Anna Wimschneider, Jahrgang 1919, in „Herbstmilch“.
     Was im letzten Absatz zum Thema Geschlechterrollen anklang, soll expressis verbis noch einmal
  hervorgehoben werden: Sowohl Mahlen als auch Backen waren klassische Aufgaben der Frauen. Erst
  mit der Verbreitung der Wassermühlen übernahm der Müller das Regiment, ebenso wie der Bäcker
  seine  Position  in  den  kommerziell  betriebenen  Backstuben  einnahm.  Dort  waren  die  Rollen  klar
  verteilt: Die Männer übernahmen die Produktion der Backwaren, die Frauen betrieben den Verkauf im
  zur  Bäckerei  gehörenden  Laden.  Und  sie  führten  den  Haushalt  für  eine  vielköpfige
  Wohngemeinschaft,  denn  alle,  die  in  der  Bäckerei  arbeiteten,  mussten  auch  Quartier  im  Haus  des
  Meisters beziehen.
     Diese Form des Zusammenlebens und -arbeitens änderte sich erst mit der Industrialisierung und
  dem  explosionsartigen  Anwachsen  der  Bevölkerung  in  den  Städten.  Die  Bäcker,  die  noch  mit  den
  gemauerten Öfen arbeiteten, die schon in vorchristlicher Zeit erfunden worden waren, konnten ihre

  Produktion nicht wesentlich steigern. Der Backraum war zugleich der Heizraum, vor jedem Backen
  musste zeitaufwändig geheizt werden, erst nachdem die Asche entfernt war, konnte das Brot in den
  Ofen geschoben werden. Dieses Problem löste die Erfindung des Dampfbackofens, der ab 1890 von
  der Firma Werner & Pfleiderer in Stuttgart und in Wien serienmäßig gebaut wurde. Heizraum und
  Backraum  waren  nun  getrennt,  man  konnte  nachheizen  und  somit  kontinuierlich  backen.  Die
  Erfindung  weiterer  Geräte  –  Knetmaschine,  Teigteilmaschine  etc.  –  trieb  die  Mechanisierung  des
  Backens voran. Die handwerklich geführten Betriebe, die sich die teuren Geräte nicht leisten konnten,
  erhielten  nun  Konkurrenz  durch  Großbäckereien,  die  man  auch  deshalb  als  „Backfabriken“
  bezeichnen  kann,  weil  die  am  Herstellungsprozess  Beteiligten  nicht  mehr  im  Familienverband,
  sondern wie die anderen Fabrikarbeiter außerhalb ihrer Arbeitsstätten lebten.
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