Page 32 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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PROTAGONIST


                                                  BÄCKER










  Der Protagonist Bäcker bespielte einen Raum, in dem Bauern und Müller keine Rolle erhielten: die

  Stadt. Zwischen 1150 und 1350 stieg die Zahl der Städte in Mitteleuropa von rund 200 auf 3.000 an.
  „Stadtluft  macht  frei“,  lautete  der  Rechtsgrundsatz,  wer  sich  hier  niederließ,  war  der  Knute  des
  Grundherrn entflohen. Und er war in Sicherheit. Denn nicht nur der Wunsch nach Freiheit trieb die
  Menschen in die Städte, es war auch Angst. Jene Angst um Leib und Leben, die auch die Bauern dazu
  brachte, sich in die Abhängigkeit eines Schutzherrn zu begeben.
     Mit dem Aufkommen der Städte erlebte das Bäckerhandwerk seinen Aufschwung. Die Menschen,
  die innerhalb der Stadtmauern lebten, waren nicht mehr autark, sondern auf die Angebote diverser

  Handwerker angewiesen. Unter ihnen kam dem Bäcker die Hauptrolle zu, war er es doch, der das
  tägliche Brot lieferte. Wenn man ihn im Dreigestirn sieht, steht der Bäcker als Produzent des Brotes
  zwar als letzter in der Kette – er ist abhängig vom Bauern und vom Müller –, doch seine Position ist
  beneidenswert:  Er  ist  frei,  die  Bäckerei  gehört  ihm.  Über  diese  Privilegien  verfügten  nur  die
  allerwenigsten  Bauern  und  Müller.  Während  die  Bauern  keine  Interessenvertretung  hatten  und  die
  Müller sich erst sehr spät organisieren durften, bildeten die Bäcker teils schon im 12. Jahrhundert
  Zünfte. Damit hatten sie den Markt im Griff: Wer Meister werden durfte, bestimmten diejenigen, die
  Meister  waren,  unliebsame  Konkurrenz  ließ  sich  damit  ausschalten.  Die  Zünfte  beschafften
  Arbeitsmaterial, sie legten Qualitätsstandards fest und übernahmen auch soziale Aufgaben, wenn ihre
  Mitglieder alt oder krank wurden.
     Und Krankheit war ein Problem, das viele Bäcker plagte: Der Mehlstaub verursachte Asthma oder
  Bronchialkatarrh,  vom  vielen  Stehen  bekamen  sie  „Bäckerknie“,  eine  Deformation  der  Beine,  das
  Bäcker-Ekzem  war  eine  Hautkrankheit,  die  nur  Mitglieder  dieses  Berufsstandes  befiel.  Auch
  Nachtarbeit und Übermüdung wirkten sich negativ auf den Gesundheitszustand aus, in einem Bericht
  aus München aus dem 16. Jahrhundert heißt es, es werde dort dreimal wöchentlich von abends 17 Uhr
  bis zum nächsten Tag um 14 Uhr gebacken.

     Dass die Bäcker ihre Ruhepausen am Tag nehmen mussten, liegt auf der Hand. Und es war nicht
  nett, dass der Volksmund einen, „der das Bäckerexamen macht“, als Faulenzer bezeichnete, der den
  ganzen Tag zum Fenster hinaus sieht. Bäcker waren einflussreich, sie konnten auch Mitglieder im
  Magistrat werden, aber das einfache Volk traute ihnen nicht über den Weg. „Müller und Bäcker stehlen
  nicht, man bringt’s ihnen“, sagt ein Sprichwort. Das Misstrauen lag sicher auch darin begründet, dass
  die  Menschen,  für  die  Hunger  stete  Bedrohung  und  bittere  Erfahrung  war,  glaubten,  wer  über  die
  Produktionsmittel für Brot verfüge, sei immer satt: „Müller und Bäcker sind die letzten, die Hungers
  sterben.“  Wenn  das  Brot  knapp  wurde,  wandte  sich  der  Zorn  des  Volkes  auch  gegen  die  Bäcker.
  Ebenso kam es zu Empörungen, wenn Qualität oder Gewicht des Brotes nicht stimmten.
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