Page 2 - Nordkurier (+11.01.2017)
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Seite 2                                                            Thema des Tages                                                Mittwoch, 11. Januar 2017




            Wenn Flüchtlinge





            bei Salafisten





            Anschluss finden







           Moscheen stehen, genau wie Kirchen, jedem offen, der dort beten
           will. Geht ein Flüchtling zum Freitagsgebet regelmäßig in eine
           Moschee, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, darf er sich
           nicht wundern, wenn er ins Visier der Sicherheitsbehörden gerät.


                                                                                           Männer beten in der Ibrahim Al-Khalil Moschee in Berlin-Tempelhof.    FOTOS (3): MAURIZIO GAMBARINI

           Von  Anne-Beatrice Clasmann                           Seyam habe früher immer  mit dem akkurat gestutzten  Ordner vor sich, sortiert  „Wir prüfen das und geben
           und Andreas Rabenstein                                freundlich gegrüßt, doch er  Bart. 2015 habe der Verein  Papiere.              das dann weiter, auch an
                                                                 habe ihm nicht über den Weg  Flüchtlingen erlaubt, in sei-  Kusai A. ist aus dem Irak  die Polizei und deren Staats-
           BERLIN. Freitagmittag in einer                        getraut, erzählt ein ehemali-  nen Räumlichkeiten zu über-  geflohen. Dort habe er ein gu-  schutz“, erklärt Kipp. Und:
           Sackgasse im Berliner Nor-                            ger Nachbar. Seyams Ehefrau  nachten, Kleiderspenden ge-  tes Leben gehabt, sagt der ge-  „Bisher hat sich aber keiner
           den. Hunderte von Menschen,                           und die Kinder lebten immer  sammelt, Essen ausgegeben.  lernte Krankenpfleger. Doch  dieser Hinweise erhärtet.“
           fast ausschließlich Männer,                           noch dort, erzählt der Rent-  „Doch dann kam so viel  sein Vater sei entführt und
           strömen aus einer Hinter-                             ner, der seinen Namen aus  Druck von den Sicherheitsbe-  ermordet worden, „nur weil  Terroristen verändern
           hof-Moschee, die auf einem                            Sicherheitsgründen  nicht  hörden und von den Medien,  er Sunnit war“, sagt der Ira-  ihr Äußeres eher nicht
           Gewerbehof liegt. Misstraui-                          veröffentlicht sehen möchte.  da haben wir es gelassen“,  ker. Er ringt um Fassung. „Ich  Wenn jemand plötzlich einen
           sche, teilweise auch feindse-                                                   erzählt er. Um zu beweisen,  habe 20 000 Dollar bezahlen  Bart und lange Gewänder
           lige Blicke. Iraker, Syrer und                        Amri hat wohl die         dass es seinem Verein damals  müssen, um seine Leiche zu  trage, müsse das noch lange
           Muslime aus verschiedenen  Amthel Mohammed al-Anane   Seituna-Moschee besucht   nicht um die salafistische In-  erhalten“, sagt er leise. Er ver-  nicht bedeuten, dass von ihm
           Regionen Afrikas treffen sich  vom Vereinsvorstand    Die Seituna-Moschee, die im  doktrinierung der Schutzsu-  abschiedet sich zum Mittags-  eine Gefahr ausgehe, sagt Su-
           hier zum Gebet. Etwa jeder                            März 2014 in den Räumlich-  chenden ging, sagt Al-Anane:  gebet. 15 Männer haben sich  san Hermenau, Sprecherin
           Zehnte trägt einen langen,  dem salafistischen Milieu zu-  keiten eines ehemaligen Fit-  „Es waren nicht einmal alle  hinter dem Imam aufgereiht.  von Prisod, einem Unterneh-
           ungestutzten Bart. Nach der  gerechnet werden. In Berlin  nessstudios eröffnet wurde,  Muslime, auch ein Serbe hat   Kusai A. hat eine Zeit lang  men, das 18 Flüchtlingshei-
           Freitagspredigt plaudern die  leben aktuell nach Erkennt-  ist eine von zwei Moscheen,  hier übernachtet.“  in der großen Flüchtlings-  me betreibt. Sie sagt: „Dieje-
           Männer im Sonnenschein auf  nissen des Verfassungsschut-  die Amri in Berlin besucht   Wer die Ibrahim al-Khalil  unterkunft auf dem Tempel-  nigen, die sich verändern, bei
           der Straße. Doch die Atmo-  zes 840 Salafisten – das sind  haben soll.          Moschee nicht kennt, findet  hofer Feld gewohnt. Die Not-  denen kann man auch nicht
           sphäre ist nicht unbeschwert.  160 mehr als ein Jahr zuvor.   Auch Amthal al-Anane  sie nicht. Kein Schild weist  unterkünfte in den Hangars  sagen, ‚Aha, ein Salafist, der
              In dem Viertel wird Geld  380 von ihnen hält die Behör-  kann sich an Seyam noch  auf den Verein hin, der eine  mit 2000 Plätzen betreibt  wird wahrscheinlich als Sa-
           gesammelt für einen islamis-  de für „gewaltorientiert“.  erinnern. „Der lief vor zehn  Etage in einem alten Fab-  das Unternehmen Tamaja.  lafist irgendwo einen Bus
           tischen Verein, der auf seiner   Gesammelt wird im Wed-  Jahren immer in der Al-Nur-  rikgebäude angemietet hat.  Mit radikalen Salafisten habe  reinfahren‘ – diejenigen, die
           Website über die „Lügen-   ding auch für den Moschee-  Moschee herum“, sagt der ge-  Auf einem Aushang sind die  man bislang keine Probleme  etwas planen, halten sich
           presse“ schimpft. Ob sich die  verein As-Sahaba, zu dessen  bürtige Iraker. Er ist Mitglied  Aktivitäten des Vereins auf-  gehabt, sagt Unternehmens-  äußerlich dann auch eher
           Vereinsmitglieder bewusst  inoffiziellem Führungszir-  des Vorstandes der Ibrahim  gelistet: Fatwas (islamisches  sprecherin Maria Kipp. Sehr  zurück.“
           sind, dass sie sich einer Vo-  kel der Berliner Verfassungs-  Al-Khalil-Moschee in Ber-  Rechtsgutachten), Islam-Se-  vereinzelt kämen Hinweise   Viele Asylbewerber kämen
           kabel bedienen, die aus dem  schutz einst Reda Seyam  lin-Tempelhof. Im Berliner  minare, Eheschließungen,  oder Vermutungen von an-  mit schrecklichen Erlebnis-
           Dunstkreis von AfD und Pegi-  zählte. Der gebürtige Ägypter  Verfassungsschutzbericht  Scheidungen, Sprachkurse.  deren Bewohnern bei den  sen im Kopf nach Deutsch-
           da stammt?                 soll sich später in Syrien der  2015 heißt es, die Ibrahim  Kusai A. sitzt an einem der  Mitarbeitern an. Auch der  land, sagt ein gebürtiger Li-
              Viele Flüchtlinge sind  Terrormiliz Islamischer Staat  Al-Khalil Moschee habe sich  weißen Kunststofftische in  Vorwurf, „der war beim IS“,  banese, der als Sozialarbeiter
           Muslime. Da liegt es nahe, zu  (IS) angeschlossen haben. Zu-  neben der Al-Nur-Moschee  der Cafeteria. Er hat einen  sei schon geäußert worden.  in einer von Prisod geführten
           fragen, was die vielen deut-  letzt tauchte er den Angaben  und der As-Sahaba-Moschee                                                Notunterkunft in einer ehe-
           schen Moscheevereine tun,  zufolge als „Verantwortlicher  als „weiterer Treffpunkt von                                               maligen Kaserne im Berliner
           um ihren Glaubensbrüdern  eines Gremiums für Bildung“  extremistischen Salafisten                                                    Bezirk Spandau arbeitet. 1400
           den Neustart in Deutschland  des „IS-Kalifats“ in der iraki-  etabliert“.                                                            Menschen leben hier. Im Büro
           zu erleichtern. Doch spätes-  schen Stadt Mossul auf.   Al-Anane wehrt sich gegen                                                    des Sozialarbeiters herrscht
           tens seit der Tunesier Anis   Obwohl sich Seyam laut  diese Einschätzung. Er sagt:                                                   großer Andrang. Ob sein
           Amri auf dem Berliner Breit-  Verfassungsschutz schon vor  „Wenn einer mit radikalen                                                 Job schwierig ist? Er schaut
           scheidplatz einen Lastwagen  vier Jahren aus Deutschland  Ideen zu uns kommt, dann                                                   ungläubig, zupft an seinem
           in die Menge steuerte, wächst  abgesetzt haben soll, steht  sagen wir ihm, ‚Geh weg‘.“                                               Schultertuch. Dann sagt er,
           die Sorge. Denn der Terrorist  sein Name immer noch auf  Mit der Flüchtlingshilfe wolle                                              einige Bewohner ließen bei
           verkehrte vor dem Anschlag,  dem Klingelschild einer Woh-  er nichts mehr zu tun haben.                                              ihm auch einfach ihren Frust
           der zwölf Menschen das Le-  nung in der Nähe der Seituna-  Damit habe man schlechte                                                  über ihre schwierigen Lebens-
           ben kostete, in verschiedenen  Moschee im Berliner Bezirk  Erfahrungen gemacht, sagt  Auf einem dreckigen Boden lässt es sich nicht gut beten.   bedingungen ab: „Es ist ein
           Moscheen der Hauptstadt, die  Charlottenburg-Wilmersdorf.  der hochgewachsene Mann  Deswegen dürfen in Moscheen keine Schuhe getragen werden.    verdammter Kampf.“


           So will Deutschland künftig gegen Gefährder vorgehen



           Von  Werner Herpell,       auf den Weg bringen, beton-  fällt also. Außerdem soll es  Ländern für eine eigene Rege-  nigen Asylbewerber, die über  Heimatland Tunesien ihm
           Kristina Dunz und Sascha Meyer  ten die Minister am Diens-  künftig erleichterte Voraus-  lung, „sonst liefe sie nämlich  ihre Identität täuschen“, sag-  keine Papiere ausgestellt
                                      tag in Berlin. „Der wehrhaf-  setzungen für elektronische  ins Leere“, sagte de Maiziè-  te der Innenminister. So wer-  hatte.
           Mit einem umfangreichen    te Rechtsstaat ist die beste   Fußfesseln von verurteilten  re. Maas fügte hinzu: „Die   de deren Bewegungsradius   Bundeskanzlerin Angela
           Maßnahmenkatalog wollen    Antwort auf die Taten und  Straftätern und Gefährdern  Fußfessel ist kein Heilmittel,  begrenzt, betonte Maas.  Merkel (CDU) hatte zuletzt
           die Minister de Maizière und   den Hass der Terroristen“,  geben. Im BKA-Gesetz für  aber sie wird unseren Sicher-                   am Montag angekündigt,
           Maas nach dem Berlin-      sagte Maas.                das Bundeskriminalamt soll  heitsbehörden die Arbeit er-  Probleme bei Rücknahme   dass die Regierung schnell
           Anschlag klare Kante gegen   Gefährder sind Menschen,  eine Fußfessel für die Über-  leichtern.“           abgelehnter Asylbewerber   Konsequenzen aus dem
           islamistische Gefährder    denen die Sicherheitsbehör-  wachung von Gefährdern     Ferner sei die Einführung  Bei stockenden Verhandlun-  Lastwagen-Anschlag ziehen
           zeigen. Das Paket sei schnell   den einen Anschlag zutrau-  eingeführt werden.  einer Residenzpflicht ge-  gen mit Herkunftsländern  und in der Sicherheitspoli-
           umsetzbar, sagen sie unisono.  en. Die deutschen Sicher-  Hier gebe es aber noch drin-  plant, also eine verschärfte  über die Rücknahme abge-  tik „wirklich Flagge“ zeigen
                                      heitsbehörden stufen derzeit   genden Nachholbedarf in den  Wohnsitzauflage für „dieje-  lehnter Asylbewerber seien  werde. Zuvor hatten Union
           BERLIN. Der Druck auf isla-  548 Personen als Gefährder                                                    „alle Politikfelder“ einzube-  und SPD darüber gestritten,
           mistische Gefährder soll in  ein. Die Hälfte davon hält sich                                               ziehen, auch die Entwick-  welche Lehren aus dem An-
           Deutschland kurzfristig und  nicht in Deutschland auf.                                                     lungshilfe. Maas sprach  schlag in Berlin gezogen
           massiv anwachsen. Gut drei  62 islamistische Gefährder                                                     auch von mehr Druck auf   werden sollen.
           Wochen nach dem Berliner  sind ausreisepflichtig.                                                          diese Staaten. Schließlich   De Maizière sagte, mit die-
           Anschlag mit zwölf Toten ha-  De Maizière und Maas                                                         müsse die Prävention im    sen Maßnahmen lasse sich
           ben Innenminister Thomas  betonten, dass für die Ge-                                                       Bereich Islamismus und Ex-  die Sicherheit der Bürger
           de Maizière (CDU) und Jus-  fährderhaft ein eigener                                                        tremismus erheblich ausge-  „ohne unverhältnismäßige
           tizminister Heiko Maas (SPD)  Haftgrund – erhebliche Ge-                                                   baut werden.              Einschränkung von Frei-
           ein verschärftes Vorgehen  fahr für die innere Sicher-                                                       Der Attentäter Anis Amri  heitsrechten“ erhöhen. Maas
           gegen potenzielle Terroris-  heit Deutschlands oder                                                        hatte am 19. Dezember auf  räumte ein, die Bundesregie-
           ten vereinbart.            Terrorgefahr – geschaffen                                                       dem Berliner Breitscheid-  rung könne „in einer freiheit-
              Das gemeinsame Maßnah-  werden soll. Bei fehlen-                                                        platz zwölf Menschen getö-  lichen Demokratie keinen
           menpaket mit erweiterter  den Passersatzpapieren der                                                       tet und viele schwer verletzt.  totalen Schutz“ versprechen,
           Gefährderhaft und Fußfes-  Herkunftsländer soll diese                                                      Er war als Gefährder einge-  aber alles in die Wege leiten,
           sel-Androhung beginne nicht  Haft länger als drei Monate                                                   stuft und ausreisepflichtig.  „dass sich ein Fall Amri in
           „bei Null“, sondern es lasse  verhängt werden können –   Die Minister Thomas de Maizière (l, CDU) und Heiko Maas (SPD)   Amri konnte aber nicht ab-  Deutschland nicht wieder-
           sich innerhalb von Wochen  die bisherige Befristung ent-  haben ein verschärftes Vorgehen vereinbart. FOTO: B. V. JUTRCZENKA  geschoben werden, weil sein   holt“.


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