Page 2 - Rostocker Ostsee-Zeitung (+10.01.2017)
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2 OSTSEE−ZEITUNG BLICK IN DIE ZEIT Dienstag, 10. Januar 2017
MLEITARTIKELM
Von Imre Grimm
Heilsames
aus Hollywood
s lebt noch, das andere Amerika. 60 Tage lang hat es
geweint, gehadert, getrauert und gelitten. Jetzt
kämpft es. Zwölf Tage vor der Vereidigung von Do-
Enald Trump zum 45. Präsidenten der USA feiern Ame-
rikas Liberale Meryl Streep als kraftvolle Stimme aller auf-
rechten Demokraten, die nicht bereit sind, ihren Frieden zu
machen mit einem Präsidenten, der Manipulation, Anti-Intel-
lektualismus und das Befeuern von Ressentiments für legiti-
me Mittel der politischen Auseinandersetzung hält. Nein,
lautete die Botschaft von Streeps 347-Sekunden-Appell bei
der Golden-Globe-Gala. Sie wolle das nicht. So nicht. Nicht
in ihrem Amerika. Nicht mit ihr. Donald Trump hat vielleicht
die Wahl gewonnen, aber noch lange nicht den Kulturkampf
um die amerikanischen Hirne und Herzen. Jubel im Publi-
kum. Aber auch einzelne konsternierte Blicke. Der scharfe
Bruch, der das Land spaltet, ist bis ins Beverly Hilton Hotel in
Beverly Hills spürbar.
Einmal mehr versteht sich Hollywood als gesellschafts-
politisches Korrektiv, als Hort von Liberalismus und Freiden-
kertum mit Glitzerkleid und Goldpuder. Wie 1973, als Marlon
Brando aus Protest gegen die Behandlung der Ureinwohner
Amerika trägt die Kraft zur
Selbstheilung in sich. Das ist es,
woran Meryl Streep erinnert hat.
die indianische Aktivistin Sacheen Littlefeather seinen Oscar
für „Der Pate" abholen ließ. Wie 2003, als Michael Moore
Präsident George W. Bush „Shame on you, Mr. Bush!“ nach-
rief. Immer wieder streifen die Großen der Glamourwelt für
Momente den schönen Schein ab, um ihre Popularität und Hart, aber fair
Strahlkraft für höhere Ziele zu nutzen – genau wissend, wel-
che irritierende Kraft ein solcher emotionaler Konventions-
bruch haben kann. Trumps dünnhäutige Twitter-Reaktion –
Streep sei „eine der meistüberschätzten Schauspielerinnen
in Hollywood“ – zeigt, dass dieser Mechanismus auch heute
noch funktioniert. Es ist die zweite große Rede nach Michelle
Obamas fulminantem Auftritt im Wahlkampf („When they go ins Wahljahr 2017
low, we go high“), in der eine weibliche Ikone der US-Kultur
ihren Willen artikuliert, ihr Land nicht zu den Vereinigten
Trump-Staaten werden zu lassen. „Nimm dein gebrochenes
Herz“, zitierte Streep ihre gerade verstorbene Kollegin Car-
rie Fisher – „und mache Kunst daraus“.
Das mag Balsam sein auf die Seelen der 180 Millionen er-
wachsenen Amerikaner, die den New Yorker Milliardär nicht Sigmar Gabriel hat in seiner Partei die Zügel in die Hand genommen.
gewählt haben. Allein: Gegen Trump helfen keine Tränen. Einen Mitgliederentscheid über die K-Frage findet der SPD-Chef unnötig,
Sondern nur der faire, beherzte, demokratische Wettstreit. Im
vergifteten Klima der US-Politik muss sich Meryl Streeps in der Terrordebatte will er sich nicht in die Defensive treiben lassen.
Amerika hörbar machen. „Es gibt nichts Schlechtes an Ame-
rika, das nicht mit dem geheilt werden könnte, was gut ist in Sorge macht ihm die Aussicht auf eine Schlammschlacht wie in den USA.
Amerika“, hat Bill Clinton einmal gesagt. Amerika trägt die
Kraft zur Selbstheilung in sich, tief in der nationalen DNA.
Das ist es, woran Meryl Streep in ihrer Rede erinnert hat,
nicht mehr und nicht weniger. Herr Gabriel, im US-Wahlkampf ha- stand den Kanzlerkandidaten nomi-
ben Hillary Clinton und Donald Trump nieren – hätte eine Urwahl nicht mehr
ihre Cholesterin- und Blutdruckwerte Schwung in den Laden gebracht?
veröffentlicht. Verraten Sie Ihren Ich selbst habe die Möglichkeit
MSPEAKERS’ CORNERM Blutzuckerwert? einer Urwahl durch die SPD-Mit-
Die Wahlkämpfe der USA sollten glieder ja in unsere Satzung schrei-
wir bei uns nicht kopieren. Vor allem ben lassen. Und zum Beispiel in Nie-
die Respektlosigkeit, die Beleidi- dersachsen oder in Schleswig-Hol-
gungen und Verleumdungen, die stein wurden die späteren SPD-Mi-
dort üblich sind, finde ich absto- Wenn die nisterpräsidenten in Mitgliederab-
ßend. Wir sind in Deutschland gut SPD-Bundesparteitag, Dresden, No- stimmungen unter mehreren Kandi-
damit gefahren, die Privatsphäre vember 2009: Sigmar Gabriel über- AfD Hass daten ausgewählt. Die Mobilisie-
auch bei Politikern zu respektieren. nimmt den Parteivorsitz, ihm gratu- schürt, ist rung auch für die dann folgenden
Von Udo Röbel Das Einzige, worauf die Öffentlich- liert sein Amtsvorgänger Franz Mün- Wahlkämpfe war hoch. Es lohnt sich
keit ein Anrecht hat, ist zu wissen, tefering. FOTO: AP das schlimm also. Ein Mitgliederentscheid setzt
ob ein zur Wahl stehender Politiker genug. Wir aber voraus, dass es ernsthafte Geg-
Arm und Reich seine Amtspflichten körperlich aus- Hass schürt, ist das schlimm genug. sollten nicht ner gibt, also zwei, drei Leute, die
üben kann. Das gilt für jedes öffent-
Wir sollten nicht in gleicher Weise
sagen: „Auf keinen Fall darf es der
liche Amt. antworten – und schon gar nicht oder die andere werden! Ich bin bes-
500 Euro im Monat? Oder 1000? 1200? Wann ist man arm in zwischen den demokratischen Par- in gleicher ser!“ Wenn es nicht so ist, wirkt das
Deutschland? Wie weit geht die Schere zwischen Arm und Die SPD-Spitze berät heute über das teien so miteinander umgehen. Weise Verfahren unglaubwürdig. Man
Reich schon oder noch auseinander? Mit jedem neuen Ar- Wahljahr 2017. Die Kanzlerin sieht kann so etwas nicht als Schauspiel
mutsbericht beginnt auch das statistische Auslegungsritual nach eigenen Angaben den bislang Wahlkampf mit aufgesetztem Dämp- antworten. aufführen.
zwischen Wohlfahrtsverbänden und Politikern. Und die Dis- härtesten Wahlkampf kommen. Droht fer wäre aber etwas ganz Neues in
kussion über die soziale Gerechtigkeit in unserem Land. in Deutschland ein Grabenkrieg nach Deutschland. Zur realistischen Bestandsaufnahme
Im Bordrestaurant eines Intercitys werde ich Ohrenzeuge amerikanischem Muster? Ich habe nichts gegen einen Wahl- gehört auch, dass die SPD derzeit
eines Gesprächs zwischen zwei Männern. Beide Mitte 40. Sie Wir Sozialdemokraten wollen das kampf, der sehr klar in der Sache ge- schlicht und einfach schlechte Karten
haben sich offensichtlich seit Jahren nicht mehr gesehen. Gegenteil. Gerade in einer Zeit, in führt wird. Aber die Wahrheit ist hat. Infratest sieht die Union bei 37,
„Und? Was machst du jetzt so?“, fragt der eine. Der andere der die Gesellschaft sich leider radi- doch: Wir leben in einer verdammt die SPD bei 20 Prozent.
nimmt seine Designersonnenbrille ab und grinst: „Ich fahre kalisiert hat, sollten die demokrati- kompliziert gewordenen Welt. Es Die Meinungsforscher sagen aller-
Autos spazieren. Schon seit zehn Jahren jetzt.“ schen Parteien einen fairen Wahl- gibt neue Bedrohungen des Frie- dings auch, dass es noch nie so viel
„Wie? Autos spazieren fahren?“ kampf führen. Der kann in der Sa- dens, neue Sorgen über den Zu- Unentschiedene gab und die SPD
„Luxusschlitten von reichen Leuten, die keine Zeit haben. che hart sein, aber der Respekt vor stand Europas, über die Zuwande- die Partei ist, bei der die meisten an-
Neue Autos, die erst einmal eingefahren werden müssen. den anderen Parteien muss immer rung, die Digitalisierung und die geben, dass sie sich für sie entschei-
Oder teure Autos, die seit Monaten in der Garage stehen.“ sichtbar bleiben. Es reicht schon, wachsende Spaltung unseres Lan- den könnten. Diese verunsicherten
„Und davon kann man leben?“ dass die AfD es anders treiben wird. des. Und nirgendwo sind einfache Wählerinnen und Wähler zu errei-
„Wunderbar! Ich kann mich vor Aufträgen nicht retten. Antworten sichtbar, sosehr sich vie- chen ist unser Ziel.
Habe Stammkunden in ganz Deutschland. Gerade bin ich Sind wir nicht schon im Schlamm ge- le diese Einfachheit auch wün-
auf dem Weg nach Dortmund, um einen Bentley einzufahren, landet? Wenige Minuten nachdem schen. Wir haben jetzt als Deutsche Im Augenblick dominiert aber ein
der noch keine 100 Kilometer auf dem Tacho hat.“ der Lastwagen über den Weihnachts- eine historische Chance: Angesichts Thema, bei dem die SPD nie viele
„Aber warum hat ihn der Besitzer dann gekauft, wenn er markt am Berliner Breitscheidplatz autoritärer Strömungen in aller Welt Punkte gesammelt hat: innere Sicher-
ihn nicht fahren kann?“ gefahren war, schrieb der nordrhein- können wir in diesem Jahr über heit. Einmal mehr sieht es so aus, als
„Das habe ich ihn auch gefragt. ,Hauptsache, ich habe westfälische Landesvorsitzende der unser Land hinaus ein Zeichen set- bremse die SPD schärfere Gesetze.
ihn’, hat er gesagt. Und was machst du jetzt so? Welches Auto AfD: „Es sind Merkels Tote.“ zen für das Funktionieren der libe- Entschuldigung, aber das stimmt
fährst du gerade?“ Dieses widerwärtige Beispiel zeigt: ralen und sozialen Demokratie. nicht: Erst seit der SPD-FDP-Bun-
„Ich bin auf Hartz IV. Schon seit drei Jahren. Ein Auto In den digitalen Medien drohen nie desregierung von Willy Brandt gibt
kann ich mir nicht leisten.“ da gewesene Hasskampagnen, die Hier und da könnte man sogar noch es eine geschlossene Politik der in-
zu einer tiefen Spaltung der Gesell- ein bisschen mehr Demokratie wa- neren Sicherheit. Davor gab es bei
Udo Röbel arbeitet als Autor in Berlin. schaft führen können. Wenn die AfD gen. Am 29. Januar soll ihr Parteivor- der CDU/CSU nur „Recht und Ord-