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Donnerstag, 19. Januar 2017 Blickpunkte Seite 3
Nitrat in aller Munde
Die Stickstoffverbindung sorgt immer wieder für Aufregung – vor allem, wenn sie vermehrt
im Grundwasser auftaucht. Landwirte stehen dabei unter Generalverdacht.
Einigen von ihnen ist nun der Kragen geplatzt.
Von Matthias Diekhoff
NEUBRANDENBURG. Wenn in
den vergangenen Tagen von
Nitrat und Grundwasser die
Rede war, dann oft in Ver-
bindung mit dem Wörtchen
„verseucht“. Und Schuld
daran sollen vor allem die
Landwirte haben. Speziell
die, die mit Tieren und de-
ren Ausscheidungen zu tun
haben. Anlass war der neue
Nitratbericht der Bundesre-
gierung, der über den aktuel-
len Zustand der Gewässer in
Deutschland Auskunft gibt.
Den muss die Regierung alle
vier Jahre der Europäischen
Kommission vorlegen. Die
Daten basieren auf einem
neuen Messnetz, das aus 1207
Stellen besteht, an denen in
Deutschland der Nitratgehalt
im Grundwasser gemessen
wird. Demnach wurden an
18,3 Prozent der Messstellen
Belastungen über dem Grenz-
wert von 50 Milligramm Ni-
trat pro Liter festgestellt.
Genannt wird hin und wie-
der zwar auch ein Wert von
28 Prozent. Der bezieht sich
jedoch nur auf den Teil der
Messstellen, die in Gebieten
liegen, wo Landwirtschaft be-
trieben wird, das sogenannte
EU-Nitratmessnetz.
Unabhängig davon kann
man den Nitratbe-
richt mit etwas
gutem Willen
auch vorsich-
tig optimis-
tisch deuten.
So heißt es dort
unter anderem:
„In der Gesamt-
schau kann somit
festgehalten werden,
dass keine Verschlechterung
der Nitratsituation im Grund-
wasser zu beobachten ist.
Verbesserungen hin zu nied- Spinat und Radieschen haben einen hohen Nitratgehalt. FOTO: © MARTINA THANNER – FOTOLIA.COM
rigeren Nitratgehalten sind
bisher nur in sehr geringem „Trotz der diese punktuellen Probleme ist dabei aufgefallen, dass das sonsten wäre die Versorgung nur bedingt miteinander zu
Umfang eingetreten.“ Wenn aufgezeig- pauschal der Tierhaltung an- Grundwasser auch gerade mit Trinkwasser langfristig verglichen.
man bedenkt, dass das Nitrat, ten positiven zulasten. Oft existieren ande- dort stark mit Nitrat belastet wesentlich aufwendiger und Das meiste Nitrat nimmt
das jetzt im Grundwasser ge- Entwicklung re und zusätzliche Faktoren, ist, wo eher wenig Vieh gehal- damit für den Bürger auch der Mensch allerdings mit
messen wird, zum Teil meh- sehen auch wie zum Beispiel Bodenart ten, sondern viel mehr Wein teurer geworden“, begrüßt dem Gemüse auf. Weißkohl,
rere Jahrzehnte gebraucht wir Reserven. oder Altlasten, die hier von und Obst angebaut wird. der Verband kommunaler Wirsing, Chinakohl, Rote
hat, um dort anzukommen, Es gibt nach wie vor Bedeutung sind. Wir fordern Auf einer entsprechenden Unternehmen die Fortschrit- Bete, Radieschen, Rettiche
verwundert diese Aussage Messstellen, die den Grenz- einen objektiven Umgang mit Karte im Nitratbericht ste- te mit der Düngeverordnung. und Spinat zum Beispiel
jedoch nicht so sehr. wert überschreiten – auch in diesen Problemen und setzen chen tatsächlich Regionen in Trinkwasser wird zwar haben einen Nitratgehalt
Landwirte wissen sowas Mecklenburg-Vorpommern“, uns für eine Standort bezo- Rheinland-Pfalz hervor. Laut zumeist aus Grundwasser von über 1000 Milligramm
in der Regel. Und sie wissen heißt es in einem offenen gene Analyse der auffälligen Pollmer liegt das daran, dass gewonnen und muss in den pro Kilogramm. Als nitrat-
auch, dass ohne die Stickstoff- Brief von sechs Landwirten Messstellen ein. Nur so wird Wein viel Stickstoff braucht meisten Fällen aufgearbeitet arm gelten Erbsen, grüne
verbindung Nitrat nicht viel aus dem Nordosten, denen ob langfristiger und nachhal- und auf Böden gedeiht, die werden. Die Entfernung des Bohnen, Zwiebeln, Spargel,
wächst. Wenn es demnächst der öffentlichen Verunglimp- tiger Erfolg möglich sein“, viel Nitrat durchlassen. Nitrats ist dabei nur einer von Rosenkohl, Gurken, Toma-
also keine Hungersnöte in fung ihres Berufsstandes der heißt es weiter in dem offe- vielen möglichen Schritten. ten, Hülsenfrüchte und Kar-
Deutschland geben soll, muss Kragen geplatzt ist. An 11 der nen Brief. Unterschied zwischen Denn im sogenannten Roh- toffeln mit immerhin noch
gedüngt werden. Ob nun mit insgesamt 53 Messstellen in Das gilt natürlich auch Trink- und Grundwasser wasser können alle Stoffe bis zu 500 Milligramm pro
Gülle, Dung, Jauche, Gärres- Mecklenburg-Vorpommern für die auffälligen Messstel- Da ist verständlich, wenn sich stecken, die das Sickerwasser Kilogramm. Allerdings
ten aus den Biogasanlagen wurden Werte über 50 Milli- len außerhalb von Meck- die Landwirte in dem offenen auf dem Weg von der Ober- sind Nitrate selbst laut
oder Kunstdünger. Die Frage gramm pro Liter gemessen. lenburg-Vorpommern und Brief dagegen verwehren, fläche ins Grundwasser auf- Bundesamt für Risiko-
ist eben nur: wie viel. Und In Brandenburg an 15 von 57. Brandenburg. Dem Lebens- „dass Landwirte unter Ge- nehmen kann wie zum bewertung „relativ un-
auch das wissen Landwirte. „Jedoch wird es nicht helfen, mittelchemiker Udo Pollmer neralverdacht gestellt wer- Beispiel Eisen und bedenklich“. Einige
den und die Tierhaltung in Mangan. Was dann Ernährungsberater
Mecklenburg-Vorpommern schließlich gereinigt sprechen auch von
Die Novellierung der Düngeverordnung so aufs Spiel gesetzt wird. aus dem Wasserhahn „harmlos“. Toxisch
Auch wir wollen, dass unsere kommt, unterliegt akute Mengen wür-
Die neuen Vorschriften führen. Darin soll aufge- werden darf, sollen ver- Kinder und Enkel zukünftig strengen Kontrollen. den mit der norma-
sollen nach langer Ver- führt werden, wie viel von kürzt werden, die dabei zu ein lebenswertes Mecklen- Die Analysen des Trink- len Nahrungsaufnahme
zögerung noch im Januar den Pflanzennährstoffen Gewässern einzuhaltenden burg-Vorpommern vorfinden wassers sind bei einigen nicht erreicht. Gefährlich
im Bundestag beraten und in den Betrieb hineinfließt, Abstände verlängert. und genau so fach- und sach- Wasserversorgern ein- wird es allerdings, wenn Ni-
verabschiedet werden, zum Beispiel durch den Gülle soll künftig innerhalb orientiert wirtschaften wir zusehen. So enthielt trat durch die Verdauung in
sodass der Bundesrat sie Kauf von Düngemitteln, einer Stunde eingearbeitet in unseren Betrieben.“ Einen das Trinkwasser aus Nitrit umgewandelt wird.
Ende März beschließen und wie viel ihn wieder ver- werden, damit nicht so Teil dazu soll auch die neue dem Wasserwerk Dann sei für Säuglinge in
kann. Darin enthalten sind lässt, zum Beispiel durch viel Ammoniak in die Luft Düngemittelverordnung bei- Schwedt zuletzt den ersten Lebensmonaten
unter anderem diese den Verkauf von Produk- entweicht. Im Gespräch ist tragen, die nun voraussicht- 7,38 Milligramm Nitrat pro ein akutes gesundheitliches
Regelungen: ten. Die Stoffstrombilanz auch, dass für jeden Schlag lich bald verabschiedet wird Liter. Der Grenzwert liegt Risiko denkbar. Denn das auf-
Betriebe mit vielen Tieren ist an die „Hoftorbilanz“ entsprechend der ange- und worauf viele Landwirte auch hier bei 50 Milligramm. genommene Nitrit stört den
müssen ab dem kommen- angelehnt und soll ab 2023 bauten Kultur der Bedarf bereits drängen. Wann damit In Neubrandenburg lag der Sauerstofftransport durch die
den Jahr eine sogenannte für alle Betriebe gelten. an Stickstoff und Phosphor langfristig die Nitratwerte im Wert im Jahr 2015 durch- roten Blutkörperchen.
Stoffstrombilanz für Stick- Die Zeiträume, in denen ermittelt und auch einge- Grundwasser gesenkt werden schnittlich sogar bei nur
stoff und Phosphat durch- Dünger ausgebracht halten werden soll. können, freuen sich auch 0,86 Milligramm. Grundwas- Kontakt zum Autor
die Wasserversorger. „An- ser und Trinkwasser sind also m.diekhoff@nordkurier.de
TZ PZ PAZ HZ MZ SZS AZ AZD DZ MST MSM NBN NBS