Page 311 - Wilhelm Wundt zum siebzigsten Geburtstage
P. 311
Die erkenntnisstheoretischen Voraussetzungen des griech. Skepticismus. 299
andersartigen Skepticismus ihrerseits Veranlassung gegeben haben,
ist bekannt. Der Nachweis, warum einzig der kritische Realismus
skeptischen Ausdeutungen am unzugänglichsten ist, wie er denn,
soweit ich sehe, auch historisch nirgends zu solchen geführt hat,
würde aus dem Rahmen dieser Studie herausfallen. War doch deren
Fragestellung eine bescheidenere, nur auf die Voraussetzungen der
pyrrhonischen Skepsis gerichtet. Auch die Beantwortung ist im G-runde
keine neue. Schon Augustin hat für die akademische Skepsis darauf
hingewiesen, dass deren Bekämpfung des Wahrheitskriteriums auf
ganz sensualistischen, von der Stoa übernommenen Grrundlagen ruhe i),
und noch kürzlich hat Wundt in unübertrefflicher Klarheit für den
gesammten antiken Skepticismus den gleichen Gedanken geäußert:
»wohl hat man bereits die Widersprüche empfunden, zu denen ein
solcher Standpunkt innerhalb der Erfahrung selbst führt . . . aber
alle diese Erwägungen führten nur zum Zweifel an der objectiven
Existenz überhaupt; sie ließen den naiven Empirismus sofort
in den Skepticismus umschlagen, waren jedoch nicht im
stände, innerhalb der empirischen Denkweise selbst
einen Fortschritt herbeizuführen« 2]. Nur einer Erläuterung
dieses Satzes im Einzelnen an dem historisch vorliegenden Stoffe,
sowie der Durchführung desselben auch für die ethischen Anschau-
ungen des Pyrrhonismus wollte die vorliegende Arbeit dienen.
1) Leder {Augustin 's Erkenntnisstheorie in ihren Beziehungen zur antiken
Skepsis u. s. w. Marburg 1901) S. 24—26.
2) Wundt, Einltg. i. d. Phil. S. 279/80. Vgl. Ueber naiven und kritischen
Realismus, 1, S. 328 die Bemerkung: die Anschauung, »dass der Glegenstand selbst
und seine Wahrnehmung oder Vorstellung toto genere von einander verschieden
seien«, habe sich der skeptischen Erkenntnisstheorie entzogen.