Page 49 - Grete Minde
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»Wo wisten hen?« nahm er endlich das Gespräch wieder auf
»Nach Tangermünd.«
»Na'h Tangermünd. Oh, doa wihr ick ook. Awers dat geiht nu all in 't dritt o'r vörte Joahr, as
uns' Herr Kurförst doa wihr un dat grote Foahnenschwenken wihr, mit Äten un Jublieren.
Un allens boaben up de Burg. Joa, doa wihr ick ook, un ümmer mit damang. Awers man
buten.«
Grete nickte, denn wie hätte sie des Tages vergessen können! Und so plauderten sie
weiter und schwiegen noch öfter, bis eine Stelle kam, wo der Weg gabelte. »Hier möt ick
rechts aff«, sagte der Bauer.
Und Grete stieg ab und wollt ihm eine kleine Münze geben.
»Nei, nei, Deern, dat geiht nich. O'r bist 'ne Fru?«
Sie wurde rot, aber er hatt es nicht acht und bog nach rechts hin in den Feldweg ein.
Es war noch zwei Stunden Wegs, und Grete, die sich von der Anstrengung des Marsches
erholt hatte, schritt wieder rüstiger vorwärts. Auch die Schwüle ließ nach; ein Wind ging
und kühlte die Luft und ihr die Stirn. Und sie hatte wieder guten Mut und gefiel sich darin,
sich ihr künftiges Leben auszumalen. Aber sonderbar, sie begann es immer vom andern
Ende her, und je weiter es ab und in allerfernste Zukunft hineinlag, desto heller und lichter
erschien es ihr. Als aber zuletzt ihre Gedanken und Vorstellungen auch auf das Nah- und
Nächstliegende kamen und sie sich in Gerdts Haus eintreten und die Knie vor ihm beugen
sah, da wurd ihr wieder so bang ums Herz, und sie hatte Mühe, sich zu halten. Und sie
nahm das Kind und küßte es. »Es muß sein«, sagte sie, »und es soll sein. Ich hab es ihm
versprochen, und ich will es halten und will Demut lernen. Ja, ich will um einen Platz an
seinem Herde bitten und will seine Magd sein und will mich vor ihm niederwerfen. Aber« –
und ihre Stimme zitterte – »wenn ich mich niedergeworfen habe, so soll er mich auch
wieder aufrichten. Weh ihm und mir, wenn er mich am Boden liegenläßt.« Und bei der
bloßen Vorstellung war es ihr, als drehe sich ihr alles im Kopf und als schwänden ihr die
Sinne.
Endlich hatte sie sich wiedergefunden und ging rascheren Schrittes weiter, abwechselnd in
Furcht und Hoffnung, bis sie plötzlich, aus dem Walde heraustretend, der Dächer und
Türme Tangermündens ansichtig wurde. Da ging alles in ihr in alter Lieb und Sehnsucht
unter, und sie grüßte mit der Hand hinüber. Das war Sankt Stephan, und die hohen Linden
daneben, das waren die Kirchhofslinden. Lebte Gigas noch? Blühten noch die Rosen in
seinem Garten? Und sie legte die Hand auf ihre Brust und schluchzte und ward erst
wieder ruhiger, als sie die Goldkapsel fühlte, das einzige, was ihr aus alten Tagen her
geblieben war. Und sie öffnete sie und schloß sie wieder und preßte sie voll Inbrunst an
ihre Lippen.
Achtzehntes Kapitel
Grete bei Gerdt
Unwillkürlich beschleunigte sich ihr Schritt, und binnen kurzem hatte sie die nur aus wenig
Häusern bestehende Vorstadt erreicht. Eins dieser Häuser, das sich nach seinem
bemalten und vergoldeten Schilde leicht als ein Herbergshaus erkennen ließ, lag in Nähe
des Tores, und sie trat hier ein, um eine Weile zu ruhen und ein paar Fragen zu stellen.
Die Leute zeigten sich ihr in allem zu Willen, und eh eine Stunde vergangen war, war sie