Page 44 - Grete Minde
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Am andern Morgen ging es in Arendsee von Mund zu Mund, daß einer von den
Puppenspielern über Nacht gestorben sei. An allen Ecken sprach man davon, und alles
war in Aufregung. Was mit ihm tun? Ein Sarg war beschafft worden, das war in der
Ordnung; aber wo ihn begraben, das blieb die Frage. War ihr Kirchhof ein Begräbnisplatz
für fahrende Leute, von denen keiner wußte, wes Glaubens sie seien, Christen oder
Heiden! Oder vielleicht gar Türken. Und dabei dachte jeder an die Frau, die gestern, vor
Beginn des Spiels, ein langes rotes Tuch um die Schulter, am Eingange gesessen hatte.
Es war klar, daß nur der alte Prediger Roggenstroh den Fall entscheiden konnte; und ehe
Mittag heran war, wußte jeder, daß er ihn entschieden habe und wie. Grete selber hatte,
neben einer eindringlichen Ermahnung, das Nein aus seinem Munde hören müssen.
Da war nun große Not und Trübsal, und es wurd erst wieder lichter um Gretens Herz, als
sich die Wirtin ihrer erbarmte und ihr anriet, drüben ins Kloster zu den Nonnen zu gehen,
die würden schon Rat schaffen und ihr zu helfen wissen, wär es auch nur, weil sie den
alten Roggenstroh nicht leiden könnten. Sie solle nur Mut haben und nach der Domina
fragen oder, wenn die Domina krank sei (denn sie sei sehr alt), nach der Ilse
Schulenburg. Die habe das Herz auf dem rechten Fleck und sei der Domina rechte Hand.
Und wenn diese stürbe, dann würde sie's.
Das waren rechte Trostesworte, und als Grete der Wirtin dafür gedankt, machte sie sich
auf, um drüben im Kloster das ihr bezeichnete Haus aufzusuchen. Ein paar halbwachsene
Kinder, die vor dem Tor der Ausspannung spielten, wollten ihr den Weg zeigen, aber sie
zog es vor, allein zu sein, und ging auf die Stelle zu, wo der Heckenzaun und dahinter der
Kreuzgang war. Als sie hier, trotz allem Suchen, keinen Eingang finden konnte, preßte sie
sich durch die Hecke hindurch und stand nun unmittelbar vor einer langen offenen
Rundbogenreihe, zu der ein paar flache Sandsteinstufen von der Seite her hinaufführten.
Drinnen an den Gewölbekappen befanden sich halbverblaßte Bilder, von denen eines sie
fesselte: Engelsgestalten, die schwebend einen Toten trugen. Und sie sah lange hinauf,
und ihre Lippen bewegten sich. Dann aber stieg sie, nach der andern Seite hin, die gleiche
Zahl von Stufen wieder hinab und sah sich alsbald inmitten des Klosterkirchhofes, der fast
noch wirrer um sie her lag, als sie beim ersten Anblick erwartet. Wo nicht die Birnbäume
mit ihren tief herabhängenden Zweigen alles überdeckten, standen Dill- und
Fencheldolden, hoch in Samen geschossen; dazwischen aber allerhand verspätete
Kräuter, Thymian und Rosmarin, und füllten die Luft mit ihrem würzigen Duft. Und sie blieb
stehen, duckte sich und hob sich wieder, und es war ihr, als ob diese wuchernde
Gräberwildnis, diese Pfadlosigkeit unter Blumen, sie mit einem geheimnisvollen Zauber
umspinne. Endlich hatte sie das Ende des Kirchhofes erreicht, und sie sah zwischen den
Bogen hindurch, die das Viereck auch nach dieser Seite hin abschlossen, auf den in der
Tiefe liegenden Klostersee, den nach links hin, ein paar hundert Schritt weiter abwärts,
einige Häuser umstanden. Eines davon, das vorderste, steckte ganz in Efeu und war bis in
Mittelhöhe des Daches von fleischblättrigem und rotblühendem Hauslaub überdeckt. All
das ließ sich deutlich erkennen, und als Grete bis dicht heran war, sah sie, daß eine Magd
auf dem Schwellsteine stand und den großen Messingklopfer putzte.
»Wer wohnt hier?« fragte Grete.
»Das Fräulein von Jagow.«
»Ist es eine von den Nonnen?«
Das Mädchen lachte. »Von den Nonnen? Wir haben keine Nonnen mehr. Es ist die
Domina.«
»Das ist gut. Die such ich.«