Page 43 - Grete Minde
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Gret; ein paar Tropfen bloß. Ich brauche nicht viel.« Und sie tat's und gab ihm. Als er aber
            getrunken, hielt sie sich nicht länger mehr und rief, während sie halb im Gebet und halb in
            Verzweiflung ihre Hände gen Himmel streckte: »Ach, daß ich leben muß! Valtin, mein
            einzig Geliebter, nimm mich mit dir, mich und unser Kind. Was hier noch war, warst du.
            Nun gehst du. Und wir sind unnütz auf dieser Welt.«
            »Nein, Grete, nicht unnütz. Und du mußt leben, leben um des Kindes willen. Auch wenn es
            dir schwer wird. Und du wirst es, denn du hattest immer einen tapfern und guten Mut. Ich
            weiß davon. Und nun hör mich und tu, wie ich dir sage. Aber bücke dich; bitt, denn es wird
            mir schwer.«
            Und sie rückte näher an sein Kissen.

            »Es muß etwas geschehen«, fuhr er fort, »und du kannst nicht mehr bleiben mit den
            fahrenden Leuten unten. Ich mag sie nicht schelten, denn sie waren gut mit uns, aber sie
            sind doch anders als wir. Und du mußt wieder eine Heimstätt haben und Herd und Haus
            und Sitt und Glauben. Und so versprich mir denn, mache dich los hier, in Frieden und
            guten Worten, und zieh wieder heim und sage... und sage... daß ich schuld gewesen.«
            Grete schüttelte heftig den Kopf. Ihm die Schuld zuzuschieben, das erschien ihr schwerer
            als alles. Er aber legte still seine Hand auf ihren Mund und wiederholte nur: »... daß ich
            schuld gewesen. Und wenn du das gesagt hast, Grete, dann sag auch, du kämest, um
            wiedergutzumachen, was du getan, und sie sollten dich halten als ihre Magd. Und du
            wolltest kein Glück mehr, nein, nur Ruh und Rast. Und dann mußt du niederknien, nicht
            vor ihr, aber vor deinem Bruder Gerdt. Und er wird dich aufrichten...«
            »Ach, daß es käme, wie du sagst! Aber ich kenn ihn besser. Er wird mir drohn und mich
            von seiner Schwelle weisen, mich und das Kind, und wird uns böse Namen geben.«
            »Ich fürcht es nicht. Aber wenn er härter ist, als ich ihn schätze, dann geh ihn an um dein
            Erbe, das wird er dir nicht weigern können. Und dann suche dir einen stillen Platz und
            gründe dir ein neues Heim und einen eigenen Herd. Tu's, Gret. Ich weiß, du hast ein
            trotzig Gemüt; aber bezwinge dich um des Kindes willen. Versprich mir's. Willst du?«

            »Ich will.«

            Es schien, daß sie noch weitersprechen wollt, aber in diesem Augenblicke trat Zenobia ein
            und sagte: »Denk, Gret, 's gibt noch a Spiel heut. Den ›Sündfall‹ wollen s'. Das Leutvolk
            laßt uns ka Ruh nit. Aber a ›Sündfall‹ ohn a Engel? Das geht halt nit. Und drum komm i.
            Was meinst, Gret?«
            Diese starrte vor sich hin.

            »Geh«, sagte Valtin. »Rücke den Korb dicht her zu mir und spiele den Engel. Und wenn
            die Stelle kommt, wo du die Palme hebst, dann denk an mich.«

            Und sie rückte den Korb näher an sein Lager und beugte sich über ihn. Er aber nahm
            noch einmal ihre Hand und sagte: »Und nun leb wohl, Gret, und vergiß es nicht. Ich höre
            jedes Wort. Geh. Ich wart auf dich.«

            Und Grete ging und barg ihr Gesicht in beide Hände.







            Sechzehntes Kapitel

                                              Die Nonnen von Arendsee
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