Page 42 - Grete Minde
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So ging's unten her. Über ihnen aber, auf einer Schütte Stroh, drüber ein Laken gebreitet
war, lag ein Kranker, ein Kissen unterm Kopf und mit ein paar Kleidungsstücken
zugedeckt. Neben ihm, auf einem Fußschemel, saß eine junge Frau, blaß und fremd, und
hielt mit ihrer Rechten den Henkel eines als Wiege dienenden Korbes, mit ihrer Linken die
Hand des Kranken. Dieser schien einen Augenblick geschlafen zu haben, und als er jetzt
die Augen wieder öffnete, beugte sie sich zu ihm nieder und fragte leise: »Wie ist dir?«
»Gut.«
»Ach, sage nicht gut. Deine Stirn brennt, und ich seh, wie deine Brust fliegt. Mein einzig
lieber Valtin, vergib mir, sage mir, daß du mir vergibst.«
»Was, Grete? Was soll ich dir vergeben?«
»Was? was? Alles, alles! Ich bin schuld an deinem Elend, und nun bin ich schuld an
deinem Tod. Aber ich wußt es nicht anders, und ich wollt es nicht. Ich war ein Kind noch,
und sieh, ich liebte dich so sehr. Aber nicht genug, nicht genug, und es war nicht die
rechte Liebe. Sonst wär es anders gekommen, alles anders.«
»Laß es, Grete.«
»Nein, ich laß es nicht. Ich will mein Herz ausschütten vor dir. Ach, sonst beichten die
Sterbenden, ich aber will dir beichten, dir.«
Er lächelte. »Du hast mir nichts zu beichten.«
»Doch, doch. Viel, viel mehr, als du glaubst. Denn sieh, ich habe nur an mich gedacht; das
war es; da liegt meine Schuld. Es kommt alles von Gott, auch das Unrecht, das man uns
antut, und wir müssen es tragen lernen. Das hat mir Gigas oft gesagt, so oft; aber ich wollt
es nicht tragen und hab aufgebäumt in Haß und in Ungeduld. Und in meinem Haß und
meiner Ungeduld hab ich dich mit fortgezwungen und habe dich um Glück und Leben
gebracht.«
Er schüttelte den Kopf und wiederholte nur leise: »Laß es, Grete. Du hast mich nicht um
das Glück gebracht. Es war nur anders als andrer Leute Glück. Weißt du noch, als wir auf
dem Floß fuhren und das Schilf streiften und die Wasservögel aufflogen, ach, wie stand da
der Himmel so blau und golden über uns, und wie hell schien uns die Sonne! Ja, da waren
wir glücklich. Und als wir dann auf Lübeck zogen und das Holstentor vor uns hatten, das
uns mit seinen grünen und roten Ziegeln ansah, und dann Musik und Fahnenschwenker
auf uns zukamen, als ob man uns einen Einzug machen wolle, da lachten wir und waren
froh in unserem Herzen, denn wir nahmen es als ein gutes Zeichen und wußten nun, daß
wir gute Tage haben würden. Und wir hatten sie auch, und hätten sie noch, denn fleißige
Tage sind gute Tage, wenn nicht der Streit gekommen wär, der Streit um viel und nichts...
Er dacht eben, er dürf es dir ansinnen, weil wir arm waren und er reich und eines
Ratsherrn Sohn. Und da war es denn freilich aus... Aber laß, Grete. Was wir gehabt
haben, das haben wir gehabt. Und nun gib mir das Kind, daß ich mich seiner freue.«
Grete war aufgestanden, um ihm das Kind zu geben; eh sie's jedoch aufnehmen konnte,
befiel ihn ein Stickhusten, wohl von der Anstrengung des Sprechens, und als der Anfall
endlich vorüber war, lag er schweißgebadet da, matt und halbgeschlossenen Auges, wie
ein Sterbender.
So vergingen Minuten, bis er sich wieder erholt hatte und trinken zu wollen schien.
Wenigstens sah er sich um, als such er etwas. Und wirklich, neben seinem Lager stand
ein Hafenglas, drin ihm aus Brotrinden und dünnem Essig ein Getränk gemacht worden
war. Aber der Geschmack widerstand ihm, und er wies es zurück und sagte: »Wasser.«
Und Grete holte den Wasserkrug herbei, der groß und unhandlich und viel zu schwer war,
um draus zu trinken, und als sie noch unschlüssig dastand und überlegte, wie sie den
Trunk ihm reichen solle, hob er sich mühsam auf und sagte lächelnd: »Aus deiner Hand,