Page 28 - Der Darwinismus als soziale Waffe
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Nach Malthus musste die “niedrige Klasse“ unter Kontrolle gebracht, unterdrückt, geschwächt und zur Arbeit gezwungen wer-
den. Als man diese irrige Ansicht akzeptierte, wurde die Arbeiterklasse unter den erschreckendsten Bedingungen zur Arbeit
gezwungen.
“Es gibt keine Ausnahme von der Regel, dass jedes Lebewesen sich auf natürliche Weise vermehrt mit einer
Wachstumsrate, die ohne natürliche Selektion dazu führen würde, dass die Erde früher oder später von der
Nachkommenschaft eines einzigen Elternpaares bevölkert wäre. Selbst die langsam brütende Gattung Mensch ver-
doppelt sich innerhalb von 25 Jahren, und angesichts einer derartigen Wachstumsrate wäre schon nach weniger als
1000 Jahren auf der Erde nicht mehr genug Platz für die menschliche Nachkommenschaft.“ 13
Darwin beschrieb die Beziehung zwischen Malthus Theorie und seiner eigenen Theorie der natürlichen
Selektion folgendermaßen:
“Wenn mehr Individuen einer Art gezeugt werden, als überleben können, muss es zwangsläufig zu einem Kampf
ums Überleben kommen, entweder zwischen Individuen der gleichen Gattung oder zwischen Individuen ver-
schiedener Gattungen, oder mit den natürlichen Lebensbedingungen. Das ist nichts anderes als die Theorie von
Malthus, mit viel Mühe angewandt auf das Pflanzen-und Tierreich.“ 14
Diese Ideen Darwins, weil geistesverwandt mit denen von Malthus, hatten keinerlei wissenschaftlichen Wert.
Schlimmer noch: Dieser grausamen Weltsicht zufolge ist Bevölkerungsplanung nur dadurch möglich, dass Arme
und Schwache eliminiert werden. Weil dabei Leben als unabhängig von Frieden, Sicherheit und Verständnis, nur als
gnadenloser Kampf ums Überleben verstanden wird, hat diese Theorie soviel Unheil über die Menschheit gebracht.
Von Malthus zu einem rücksichtslosen Weltbild
Trotz ihrer nachweislichen Unwissenschaftlichkeit fanden die Theorien von Malthus und Darwin breite
Zustimmung. Die Gründe dafür sind zu suchen in der historischen Epoche, in der beide lebten. Es war die Zeit der
von England ausgehenden Industriellen Revolution, als die englische Adelsschicht fürchtete, ihren privilegierten
Status und ihre Macht an die Arbeiterklasse zu verlieren. Andererseits jedoch war sie angewiesen auf mehr und bil-
ligere Arbeitskräfte. Um diesem Dilemma zu entkommen, verfiel die herrschende Klasse in Großbritannien auf die
Idee, die aufstrebende Arbeiterklasse zu schwächen, unter Kontrolle zu bekommen und zu unterdrücken, um sie
umso besser ausbeuten zu können. Mit seiner These, dass die Entwicklung der Nahrungsmittelproduktion drama-
tisch dem Bevölkerungswachstum hinterher hinke, propagierte Malthus zugleich die Forderung, eben deshalb
müsse man die “niederen Stände“ an der Vermehrung hindern, folglich entsprechende Maßnahmen dagegen tref-
fen. Indem Darwin diese demographische Argumentation auf Biologie und Naturwissenschaft übertrug, verlieh er
dem Unsinn Malthus ein angeblich wissenschaftliches Mäntelchen.
In seinem Buch Social Darwinism in American Thought schreibt Richard Hofstadter über die Zustimmung
Darwins zu Malthus Thesen:
“Damals waren die Thesen von Malthus in England weit verbreitet... Es galt als unschick, die Reichen verantwortlich
zu machen für das Leid der Armen. Zwar widerlegte der Gang der Geschichte später seine Theorie, aber just zu
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