Page 279 - Es war einmal der Darwinismus
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Harun Yahya





             vollständig unseren Geschmackssinn.
                 Wir können nie sicher sein, dass der Geschmack, den wir selbst an einer Nahrung empfinden und der Ge-
             schmack, den eine andere Person an der gleichen Nahrung empfindet derselbe ist; oder dass eine Stimme, die wir hö-
             ren und die dieselbe Stimme, die eine andere Person hört, “dieselben” sind. Über diese Tatsache bemerkt Lincoln
             Barnett:

                 Niemand kann wissen, ob man selbst die rote Farbe oder die Note “C” wie eine andere Person wahrnimmt oder nicht. 193
                 Wenn wir unseren Tastsinn untersuchen, sehen wir, dass es dabei genauso ist. Wenn wir einen Gegenstand be-
             rühren, werden alle Informationen, die uns helfen, die Umwelt und die Gegenstände zu erkennen, durch die Sinnes-
             nerven in der Haut zum Gehirn übermittelt. Das Gefühl des Tastens entsteht in unserem Gehirn. Erwartungsgemäß
             ist der Ort, an dem wir den Tastsinn wahrnehmen, nicht unsere Fingerspitzen oder unsere Haut, sondern das Zent-

             rum des Tastsinns im Gehirn. Als Folge der Deutung der elektrischen Signale durch unser Gehirn empfinden wir un-
             terschiedliche Gefühle wie Härte oder Weichheit, Kälte oder Hitze, die die Gegenstände kennzeichnen. Wir erhalten
             alle Einzelheiten, die nötig sind, um einen Gegenstand zu erkennen, durch diese Reize. Die Überlegungen der Philo-
             sophen Bertrand Russell und L. J. J. Wittgenstein hierzu lauten wie folgt:
                 ... Ob eine Zitrone tatsächlich existiert oder nicht und durch welchen Prozess sie entstanden ist, kann nicht gefragt und
                 nachgeforscht werden. Die Zitrone besteht nur aus einem Geschmack, der durch die Zunge ermittelt wird, einem Ge-
                 ruch, der durch die Nase verspürt wird, einer Farbe und Form, die mit dem Auge gesehen wird. Und nur diese Eigen-
                 schaften können die Aufgabenstellung einer wissenschaftlichen Forschung und dessen Beschluss bilden. Die
                 Wissenschaft kann niemals wissen, wie die sachliche Welt ist. 194
                 Es ist für uns unmöglich, die materielle Welt zu erreichen. Alle Gegenstände um uns herum sind tatsächlich nur
             eine Summe von Wahrnehmungen wie das Sehen, Hören und Berühren. Unser Gehirn, das die Daten im Zentrum
             der Wahrnehmungen interpretiert, konfrontiert uns unser Leben lang nicht mit dem Original der Materie, sondern

             mit Abbildern und Kopien dieser Materie innerhalb unseres Gehirns. Doch wir irren uns, wenn wir glauben, dass es
             sich bei diesen Kopien um die tatsächliche Materie handelt.


                 Die Außenwelt in unserem Hirn

                 Durch die physikalischen Tatsachen, die wir bis jetzt erklärt haben, gelangen wir zu einem unstreitigen Ergebnis:
             Alles, was wir sehen, berühren, hören und was wir als “Materie”, “Welt” oder “Universum” bezeichnen, sind einzig
             und allein die elektrischen Signale, die in unserem Gehirn entstehen. Wir können das “Original” der Materie außer-
             halb unseres Gehirns nie erreichen. Wir schmecken, hören und sehen lediglich ein in unserem Gehirn geformtes
             “Bild” der Außenwelt. Jemand, der eine Frucht ißt, ist mit der Vorstellung dieser Frucht im Gehirn konfrontiert, nicht
             direkt mit der Frucht selbst. Der Gegenstand, der von ihm als Frucht bezeichnet wird, besteht nur aus der Wahrneh-
             mung der elektrischen Signale im Gehirn, die die Form, den Geschmack, den Geruch und die Oberflächenbeschaffen-

             heit der Frucht wiedergeben. Wenn man den Sehnerv, der das Gehirn erreicht, durchtrennen würde, würde das Bild
             der Frucht verschwinden. Schon die Störung eines Nervs, der von den Sensoren in der Nase zum Gehirn reicht, ließe
             den Geruchssinn verschwinden. Denn die Frucht ist nichts anderes als die Deutung der elektrischen Signale durch
             das Gehirn.
                 Ein anderer Punkt, den man durchdenken sollte, ist das Entfernungsgefühl. Zum Beispiel ist der Abstand zwi-
             schen uns und diesem Buch nur ein Gefühl der Leere, welches im Gehirn gebildet wird. Gegenstände, die einem
             Menschen entfernt zu sein scheinen, befinden sich eigentlich auch nur in seinem Gehirn. Jemand, der die Sterne am
             Himmel betrachtet, “weiß”, dass sie Millionen Lichtjahre von ihm entfernt sind. Doch sind die Sterne in ihm, nämlich
             im Sehzentrum seines Gehirns. Während wir diese Zeilen lesen, befinden wir uns tatsächlich nicht innerhalb des

             Raums, sondern der Raum befindet sich in uns. Wir glauben, dass wir uns innerhalb des Raumes befinden, weil wir
             unseren Körper sehen. Aber wir sollten nicht vergessen, dass auch unser Körper ein Bild ist, das innerhalb unseres
             Gehirns gebildet wird.
                 Für alle unsere Sinne gilt dasselbe: Wenn wir glauben, den Ton des Fernsehgerätes im Nebenraum zu hören, hö-
             ren wir den Ton in unserem Gehirn. Es ist nicht möglich zu beweisen, dass es einen Raum nebenan gibt oder dass von
             einem Fernsehapparat in diesem Raum ein Geräusch kommt. Die Stimme, die aus der Entfernung kommt, oder das
             Gespräch eines Menschen neben uns wird tatsächlich im Hörzentrum unseres Gehirns, das nur eine Größe von eini-

             gen Zentimetern hat, wahrgenommen. Außerhalb dieses Zentrums gibt es keine Begriffe wie “rechts”, “links”, “vor-
             ne”, “hinten”. Das heißt: Es gibt keine Richtung, aus der die Stimme kommt.






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