Page 605 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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auch andere Altersstufen daruntergemischt, eine Einrichtung, die
deswegen getroffen worden, damit der gesetzte Ernst der Greise und die
Ehrfurcht vor ihnen die jüngeren Leute von zügellosem Gebahren in
Wort und Gebärde zurückhalte (da nichts am Tische gesprochen oder
gethan werden kann, was der Aufmerksamkeit der ringsum Sitzenden
entginge).
Die einzelnen Gänge der Speisen werden nicht in der Reihenfolge
vom Ersten aufgetragen, sondern zu erst das Beste von jedem Gerichte
den Aeltesten vorgesetzt (deren Plätze ausgezeichnet sind), dann werden
alle Uebrigen gleichmäßig bedient. Aber die Greise theilen von ihren
Leckerbissen (die nicht in so großer Menge vorhanden sind, daß sie in
der ganzen Halle freigebig vertheilt werden können) nach Gutdünken
den Umsitzenden mit. So wird den Alten die ihnen gebührende Ehrung
erzeigt, und in Einem kommt diese auch allen Andern zu gute.
Jede Mittags-, ebenso wie die Abendmahlzeit wird mit einer
moralischen Vorlesung eingeleitet, die aber kurz ist, damit sie nicht
Ueberdruß erweckt. Hierauf ergreifen die Greise die Gelegenheit zu
ehrbaren Reden, doch nicht düsterer, sondern heiterer Art. Aber sie
führen nicht während des ganzen Mittagessens allein in langen Tiraden
das Wort: sie hören auch gern die Jungen und fordern sie absichtlich zum
Reden auf, um sich mittels der beim Mahle herrschenden
Ungezwungenheit von den Charakteranlagen und geistigen Fähigkeiten
derselben zu überzeugen.
Die Mittagsmahlzeiten sind recht kurz, die Abendmahle dauern
länger, weil auf jene wieder Arbeitszeit, auf diese Schlaf und nächtliche
Ruhe folgt, die man für eine gesunde Verdauung für viel zuträglicher
hält.
Keine Abendmahlzeit verläuft ohne Musik. Auch entbehrt der
Nachtisch nicht allerlei Leckereien; sie zünden wohlriechende
Substanzen an, sprengen mit duftenden Essenzen und unterlassen nichts,
was die Tischgäste zu erheitern geeignet ist.
Denn sie neigen in dieser Beziehung sehr gerne zum Vergnügen, so
daß sie keinerlei Lustbarkeit, aus der nichts Uebles zu erfolgen im
Stande ist, für untersagt halten.
So ist das gesellige Zusammenleben in den Städten beschaffen; die
am Lande entlegen von einander Wohnenden, essen jeder für sich allein
zu Hause; es fehlt keiner Familie etwas an ihrem Lebensunterhalte, denn
von ihnen kommt ja erst Alles, wovon die Bürger in den Städten sich
ernähren.
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