Page 606 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vom Reisen der Utopier.



                                                  Inhaltsverzeichnis




                Im Falle, daß Jemand einen in einer andern Stadt wohnhaften Freund zu
                besuchen wünscht, oder es ihn verlangt, einen andern Ort zu sehen, kann
                er von seinen Syphogranten und Traniboren leicht die Erlaubniß dazu
                erhalten, wofern man seiner nicht zu einer Arbeit bedarf. Er wird mit

                einer Anzahl Anderer, die zu reisen wünschen, fortgeschickt, mit einem
                Briefe des Fürsten versehen, der die Erlaubniß zu reisen enthält und den
                Tag der Rückkehr vorschreibt. Man gibt ihm einen Wagen und einen
                Sklaven mit, der die Zugochsen zu führen und zu besorgen hat. Wofern
                sie aber nicht Frauen mitnehmen, wird der Wagen als etwas Lästiges und
                Hinderliches zurückgewiesen. Auf der ganzen Reise führen sie nichts mit

                sich, aber es geht Ihnen gleichwohl nichts ab, denn sie sind ja überall wie
                zu Hause.
                     Wenn Einer an einem Orte sich länger als einen Tag aufhält, so
                nimmt er die Arbeit in seinem Handwerk auf und wird von seinen
                Zunftgenossen auf's zuvorkommendste behandelt.
                     Wenn einer eigenmächtig sich außerhalb seines Bezirkes herumtreibt,
                und ohne den fürstlichen Erlaubnißschein ergriffen wird, so gereicht ihm

                das zum Schimpf, er wird wie ein Flüchtling zurückgewiesen, scharf
                gezüchtigt, und geräth im Wiederholungsfalle in die Sklaverei.
                     Wenn Einen die Lust anwandelt, die Fluren seines Stadtgebiets zu
                durchschweifen, so ist ihm das nicht verwehrt, wofern er die Erlaubniß
                seines Vaters und die Zustimmung seiner Ehefrau dazu hat. Aber in

                jedem Landstrich, wohin er kommt, erhält er nicht früher Nahrung, bevor
                er so viel Arbeit geleistet hat, entweder Vormittags oder vor dem
                Abendessen, als es dort Brauch ist. Unter dieser Bedingung darf Jeder
                sich innerhalb des Gebietes der Stadt, in der er wohnt, frei bewegen.
                Denn er wird ihr so nicht minder nützlich sein, als wenn er in der Stadt
                selbst weilte.
                     Ihr seht daher schon, wie es gar keine Gelegenheit zum Müßiggang,
                keinen Vorwand zum Faulenzen gibt. Keine Weinkneipe, keine

                Bierkneipe, kein Bordell, keine Gelegenheit zur Sittenverderbniß, keine
                Schlupfwinkel, keine heimliche Versammlung, sondern die Augen Aller,
                die stets auf ihn gerichtet sind, zwingen ihn zu seiner gewohnten Arbeit
                oder zu ehrbarer Muße.







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