Page 611 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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hielten, die Gesandten selbst aber hielten sie deswegen, weil sie goldene
                Kelten trugen, um gekehrt für Sklaven und ließen sie daher ohne alle
                Ehrenbezeugung vorüberziehen.

                     Und die Knaben hättest du sehen sollen, wie sie ihre Edelsteine und
                Perlen schleunigst fortwarfen, als sie sahen, daß solche an die Hüte der
                Gesandten angeheftet waren, und wie sie ihre Mütter zupften und
                stupften:
                     ›Schau, Mutter, was für ein großer Schlingel da noch Perlen und
                Edelsteine trägt, als ob er noch ein kleiner Knirps wäre.‹
                     Aber die Mutter heißt ihn ganz ernsthaft schweigen und sagt:

                »Vielleicht ist das einer der Possenreißer der Gesandten.«
                     Und Andere sagten beim Anblicke der goldenen Ketten, daß sie ja
                nicht zu brauchen seien, weil sie viel zu zierlich wären, so daß sie der
                Sklave leicht zerbrechen könne, und andererseits hingen sie so schlaff
                herunter, daß derjenige, der sie um habe, sie abwerfen könne, sobald er
                wolle, und ungehindert entfliehen.

                     Als die Gesandten zwei Tage dagewesen waren, entdeckten sie eine
                große Menge Gold in ganz niedriger Verwendung und in nicht geringerer
                Unehre gehalten, als sie es hoch in Ehren hielten, und als sie nun
                gewahrten, daß ein einziger flüchtig gewordener Sklave an Ketten und
                Fesseln mehr Gold und Silber an sich trug, als sie alle drei zusammen, da
                zogen sie bescheidenere Saiten auf, schämten sich des Pomps, womit sie
                sich so sehr gebläht hatten, und legten ihn beiseite, namentlich nachdem

                sie mit den Utopiern eine vertraulichere Unterredung angeknüpft und
                deren Anschauungen und Sitten kennen gelernt hatten.
                     Sie wundern sich gar sehr, wenn sich Jemand an dem zweifelhaften
                Glanze eines Edelsteinchens oder eines falschen Steines ergötzt,
                während er doch nur einen beliebigen Stern oder den Glanz der Sonne
                selbst als etwas viel Schöneres zu betrachten braucht, oder wie Jemand

                so unvernünftig sein könne, daß er sich selbst etwas Besseres dünkt, weil
                er einen Rock von feinerem Gewebe anhat, denn sei die Wolle auch noch
                so sein, so hat sie doch immer zuerst ein Schaf getragen, und dieses ist
                mittlerweile nichts Anderes geworden, sondern ist immer ein Schaf
                geblieben.
                     Ebenso wundern sie sich, wie das seiner Natur nach ganz unnütze
                Gold jetzt in der Werthschätzung aller Völker so hoch stehe, daß der

                Mensch selbst, durch den und dessen Gebrauch es erst jenen Werth
                erhalten hat, viel niedriger geschätzt wird. Und das geht so weit, daß
                irgend ein Dummkopf, der nicht mehr Verstand hat als ein Holzklotz,
                und ebenso schlecht als dumm ist, viel weise und brave Männer in seiner





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