Page 613 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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sie haben keine jener Regeln erfunden, die über Einschränkungen,
                Erweiterungen und Unterschiebungen in den Anfangsgründen der Logik
                höchst scharfsinnig ausgedacht worden sind und die schon unsere

                Knaben lernen.
                     Sodann waren sie weit davon entfernt, die zweiten Begriffe
                aufgestellt zu haben, so daß sie nicht im Stande waren, den »Menschen
                im Allgemeinen«, wie es heißt, zu entdecken, der, wie bekannt, ein
                wahrer Riese, ja im Grunde größer als jeder Riese ist, auf den, als etwas
                ganz Bekanntes, wir nur so mit den Fingern zeigen.
                     Dagegen sind sie in der Lehre vom Lauf der Gestirne und von der

                Bewegung der Himmelskörper sehr bewandert. Scharfsinnig haben sie
                auch Instrumente mit verschiedenen Figuren ausgedacht, wodurch
                Bewegung und Stellung von Sonne, Mond und verschiedenen anderen
                Gestirnen, die innerhalb ihres Horizontes fallen, auf's allergenaueste
                dargestellt sind.
                     Aber von freundlicher und feindlicher Stellung der Wandelsterne

                (Planeten) und jenem ganzen Schwindel des Wahrsagens aus den Sternen
                lassen sie sich nichts träumen. Regen, Winde und die übrigen
                Wechselfälle der Witterung wissen sie durch gewisse Anzeichen lange
                vorherzusagen.
                     Ueber die Ursachen aller dieser Dinge, über die Bewegung und
                Salzigkeit des Meeres und endlich über Natur und Ursprung des
                Himmels und der Welt nehmen sie zum Theil dasselbe an wie unsere

                alten Philosophen, theilweise weichen sie, wie unsere Philosophen unter
                einander, von ihnen allen ab, wenn sie neue Erklärungsarten beibringen,
                aber unter sich selbst sind sie doch keineswegs einig.
                     In jenem Theil der Philosophie, welcher von der Tugend und den
                Sitten handelt, stimmen ihre Ansichten und Vernunftgründe mit den
                unseren überein. Streitig ist ihnen die Frage über die Güter der Seele und

                des Leibes und die Glücksgüter, ob allen diesen, oder nur den seelischen
                Gaben der Name »Gut« zukomme. Sie erörtern das Wesen der Tugend
                und des Vergnügens, aber die erste und Hauptfrage ist, worin, ob in
                einem Dinge oder in mehreren, die Glückseligkeit der Menschen
                bestehe.
                     In dieser Beziehung schlagen sie sich wohl allzusehr auf Seiten
                derjenigen Partei, welche das menschliche Glück entweder überhaupt

                oder doch den wesentlichsten Theil desselben im Vergnügen sieht.
                     Und worüber Du Dich noch mehr wundern wirst – – die
                Bekräftigung dieser ihrer etwas epikuräischen, weichlichen Ansicht







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