Page 617 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Es gibt nämlich eine Menge von Dingen, die an und für sich
                durchaus nichts von Annehmlichkeit enthalten, wohl aber einen guten
                Theil von bitterem Beigeschmack, die aber vermöge der grundverkehrten

                Lockungen schmählicher Begierden nicht nur gerade für die höchsten
                ergötzenden Genüsse gehalten, sondern auch zu den wichtigsten
                Angelegenheiten des Lebens gezählt werden.
                     In die Reihe der von solchen falschen Vergnügungen
                Eingenommenen stellen sie Diejenigen, deren ich früher Erwähnung
                gethan habe, die sich nämlich selbst für um so besser halten, je besser
                der Rock ist den sie tragen. Da befinden sie sich nämlich in einem

                doppelten Irrthum, denn sie täuschen sich, wenn sie ihren Rock für
                besser halten, wie sie sich nicht minder täuschen, wenn sie deswegen
                sich selbst für etwas Besseres halten. Denn was der Vorzug einer Wolle
                von feinerem Gewebe vor einer mit gröberer Textur, sofern es sich um
                den praktischen Gebrauch des Kleides handelt?
                     Denn als ob sie sich von Natur und nicht durch ihren falschen Wahn

                vor Anderen hervorthäten, tragen sie das Haupt gar hoch und glauben,
                daß ihr eigener innerer Werth durch bessere Kleid erhöht werde, und
                verlangen Ehrenbezeigungen als von Rechtswegen ihnen zukommend,
                sobald sie mit einem eleganten Kleide angethan sind, die sie, geringer
                gekleidet, für sich zu hoffen nicht gewagt hätten, und sie nehmen es gar
                übel, wenn sie trotz ihrer stattlichen Kleidung nicht weiters groß beachtet
                werden.

                     Ist es denn nicht die richtige Thorheit, aus eitlen und nichts
                nützenden Ehrenbezeigungen sich so viel zu machen? Was für ein
                natürliches und echtes, wahres Vergnügen bringt es denn ein, den
                Scheitel eines Andern entblößt, oder dessen Kniee gebeugt zu sehn?
                Wird dadurch ein Schmerz, den du in deinen Knieen hast, geheilt? Und
                wenn du phantasirst, wird es wohl in deinem Kopfe klar, wenn ein

                Anderer seinen Hut vor dir zieht?
                     Mit diesem Scheinbild eines gefälschten Vergnügens gebärden sich
                wie unsinnig Diejenigen, welche sich mit ihrem Adel schmeicheln, und
                eine wunderbare Meinung von sich selbst haben, weil sie zufällig von
                Vorfahren abstammen, deren lange Reihe für reich, insbesondere in
                Grundstücken und Landgütern gilt, denn im Reichthum besteht
                heutzutage der Adel. Sie würden sich aber um kein Haar weniger adelig

                dünken, wenn ihnen die Vorfahren nichts hinterlassen hätten, oder sie
                selbst Alles durchgebracht hätten.
                     Zu diesen Thoren rechnen sie auch Diejenigen, welche in Edelsteine
                und Gemmen (wie schon gesagt) vernarrt sind; sie kommen sich vor, als





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