Page 621 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vergnügen zu halten, weil sie behaupteten, es könne ein solches nicht
                geben, ohne daß es durch eine von außen kommende Bewegung
                empfunden werde.

                     Heutzutage aber sind sie wohl so ziemlich Alle darüber einig daß die
                Gesundheit ein Vergnügen ersten Ranges sei. Denn, sagen sie, indem die
                Krankheit den Schmerz einschließt der der unversöhnliche Feind des
                Vergnügens ist, gleich wie das die Krank heil für die Gesundheit ist,
                warum soll dann nicht auch ein Vergnügen in der stetigen,
                gleichmäßigen Ruhe der Gesundheit liegen?
                     Es sei in dieser Beziehung völlig gleichgültig, ob der Schmerz die

                Krankheit sei, oder ob der Schmerz nur der Krankheit innewohne. Denn
                das laufe der Sache nach doch immer auf das selbe hinaus. Denn wenn
                die Gesundheit entweder das Vergnügen selbst ist, oder
                nothwendigerweise das Vergnügen im Gefolge hat, geradeso wie die
                Wärme durch Feuer erzeugt wird, so muß in beiden Fällen die Wirkung
                hervorgebracht werden, daß Denjenigen, die im Besitze einer

                unerschütterten Gesundheit sind, das Vergnügen nicht fehlen kann.
                     Wenn wir sodann essen, sagen sie, kämpft da die Gesundheit, die
                abzunehmen begonnen hatte, nicht mit Hilfe der Speise gegen den
                Hunger, und während sie allmählich wieder zunimmt kommt der Mensch
                wieder zu seinen gewohnten Kräften und, in dem wir so erquickt werden,
                tritt auch das Vergnügen ein. Und nun sollte die Gesundheit, welche, als
                sie zu kämpfen hatte, frohen Muthes war, nicht sich erst freuen, wenn sie

                den Sieg erringt? Warum sollte sie, nachdem sie ihre frühere Stärke
                glücklich wieder erlangt, nach der allein sie doch im Kampfe gestrebt
                hat, fortan stumpf werden und, was ihr gut thut, weder erkennen, noch
                mit liebender Sorgfalt pflegen?
                     Denn daß man die Gesundheit nicht als etwas Positives empfinde,
                das leugnen sie als etwas ganz und gar Falsches. Wer empfindet denn im

                wachen Zustande nicht, daß er gesund ist, außer Derjenige, der es eben
                nicht ist? Gänzliche Unempfindlichkeit oder Schlafsucht mußte
                Denjenigen befallen haben, der sich nicht selbst zu gestehen im Stande
                wäre, daß die Gesundheit etwas Angenehmes und Ergötzliches sei. Aber
                was ist Ergötzung Anderes, als ein anderes Wort für Vergnügen?
                     Sie pflegen daher in erster Linie die geistigen Vergnügungen, die
                ihnen für die vornehmsten und bedeutendsten gelten, die, wie sie dafür

                halten, in ganz überwiegendem Maße aus der Uebung der Tugend und
                aus dem guten Gewissen eines wohl zugebrachten Lebens entspringen.
                     Von den Vergnügen, die die körperliche Seite des Daseins gewährt
                erkennen sie der Gesundheit den Preis zu. Denn die Annehmlichkeit des





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