Page 620 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Die Utopier unterscheiden mehrere Arten wahren Vergnügens, und
                zwar sowohl körperlicher als geistiger Natur. Letzterer Art ist der
                Verstand und jenes traute Wohlbehagen, welches die Betrachtung der

                Wahrheit erzeugt. Daran reiht sich die süße Erinnerung an ein musterhaft
                geführtes Leben und die gewisse Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.
                     Die Vergnügen des Körpers theilen sie in zweierlei Arten, deren
                erstere darin besteht, daß die Sinne mit merkbarem Wohlgefühl
                durchdrungen werden, was durch Erfrischung jener Organe geschieht,
                welche durch die innewohnende natürliche Wärme erschöpft worden
                sind. Sie werden durch Speise und Trank wider hergestellt, andererseits

                werden die überflüssigen Stoffe im Leibe entleert, deren Entfernung von
                Erleichterung begleitet ist. Dieses Gefühl wird hervorgerufen durch
                Verrichtung unserer Nothdurft mittels Entleerung der Eingeweide, oder
                durch den Akt der Kinderzeugung oder durch Reiben oder Kratzen einer
                Stelle, die juckt.
                     Manchmal entsteht ein Vergnügen, ohne daß etwas dargeboten wird,

                was den Körpergliedern ein angenehmes Verlangen stillt, noch etwas
                entfernt, was dem Körper leidendes Unbehagen verursacht, das aber
                unsere Sinne doch mit einer gewissen geheimen Kraft kitzelt und mit
                einer herrlichen Bewegung durchs bebt und ganz und gar an sich zieht,
                wie es z.B. aus der Musik entsteht.
                     Die zweite Art des körperlichen Vergnügens, behaupten sie, besteht
                in einem ruhigen, gleichmäßigen Zustande des Körpers, das ist, in der

                von keines Uebel unterbrochenen Gesundheit jedes Menschen. Diese
                nämlich ist, wenn sie von keinerlei sie beeinträchtigendem Schmerz
                angefochten wird, an sich etwas Erquickendes, wenn auch kein von
                außen kommendes Vergnügen auf den Körper einwirkt und ihn in
                Bewegung setzt. Denn obwohl sie sich den Sinnen weniger bemerkbar
                aufdrängt, als die Lustbegierde nach Essen und Trinken, erklären sie

                Viele nichtsdestoweniger für die höchste Lust und fast alle Utopier
                gestehen unumwunden, daß sie ein großes Vergnügen und die Grundlage
                aller andern Vergnügen ist, insofern diese erst auf ihrer Basis entstehen
                können, als durch welche allein das Leben einen wünschenswerten und
                ruhig-gefälligen Verlauf nehme; sei sie verschwunden, so könne kein
                Vergnügen irgendwelcher Art mehr statthaben. Denn nicht gesund sein,
                wenn man auch keine Schmerzen habe, das nennen sie nicht reines,

                erquickendes Vergnügen, sondern bloß stumpfe Unempfindlichkeit.
                     Haben sie doch auch längst unter sich den Ausspruch Derjenigen
                verworfen, die da meinten, die beständige und ruhige Gesundheit (denn
                auch diese Frage ist bei ihnen sorgfältig erörtert worden) sei nicht für ein





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