Page 778 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 778
Sechsunddreißigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Bürger, die höhere Würden bekleidet haben, dürfen die niederen
nicht verschmähen.
Wohl beeinflußt durch Plutarchs »Praecepta gerendae rei publicae«
(Moralia), XV. Vgl. Aristoteles, Politik, III, 2, 10.
Unter dem Konsulat des Marcus Fabius und Gnejus Manlius
gewannen die Römer eine ruhmvolle Schlacht über die Vejenter und
Etrusker. 480 v. Chr. Vgl. Livius II, 46. In dieser fiel der Bruder des
einen Konsuls, Quintus Fabius, der vor drei Jahren Konsul gewesen war.
Man ersieht daraus, wie geeignet die Einrichtungen dieser Stadt waren,
sie groß zu machen, und wie sehr andre Republiken im Irrtum sind, die
von diesen Einrichtungen abweichen. Denn obwohl die Römer äußerst
ruhmbegierig waren, hielten sie es doch nicht für unehrenhaft, einem
Manne zu gehorchen, dem sie ein andermal befohlen hatten, und in dem
Heere zu dienen, das sie selbst geführt hatten. Dieser Brauch
widerspricht der Denkweise, den Einrichtungen und dem Herkommen
unsrer heutigen Republiken. In Venedig besteht noch der Wahn, daß ein
Bürger, der einen hohen Posten bekleidet hat, sich schämt, einen
geringeren anzunehmen, und daß die Stadt ihm erlaubt, ihn abzulehnen.
Mag dies für den einzelnen ehrenvoll sein, für die Gesamtheit ist es doch
völlig nutzlos. Denn mehr Hoffnung und Vertrauen darf eine Republik
auf einen Bürger setzen, der von einem höheren Rang zu einem
geringeren herabsteigt, als von einem, der vom geringeren zum höheren
aufsteigt. Auf den letzteren kann sie sich vernünftigerweise nur dann
verlassen, wenn sie ihm Männer zur Seite weiß, die Ansehen oder
Verdienste genug besitzen, um seine Unerfahrenheit durch ihren Rat und
Einfluß zu unterstützen. Hätte in Rom derselbe Brauch geherrscht wie in
Venedig und in den andern neueren Republiken und Königreichen, daß,
wer Konsul gewesen war, nur noch als Konsul in den Krieg ziehen
wollte, so wären daraus unzählige Nachteile für die bürgerliche Freiheit
entsprungen, denn teils hätten die Neulinge Fehler gemacht, teils hätten
sie ihrer Ehrsucht die Zügel schießen lassen. Ja, wenn sie keine Männer
um sich gehabt hätten, unter deren Augen sie sich nicht trauten, etwas
777