Page 773 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vierunddreißigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Die diktatorische Gewalt brachte der römischen Republik Vorteil,
nicht Schaden. Gefährlich für das Staatsleben ist die Gewalt, die ein
Bürger an sich reißt, nicht die, welche ihm durch freie Wahl erteilt
wird.
Ein gewisser Schriftsteller verurteilt die Bürger, die in Rom auf die
Ernennung eines Diktators verfielen, weil sie mit der Zeit zur Tyrannei
geführt hätte. Zum Beweis führt er an, daß der erste Tyrann Rom unter
dem Titel eines Diktators beherrscht habe. Hätte dieser Titel nicht
bestanden, so hätte nach seiner Behauptung Cäsar seine Tyrannei mit
keinem rechtmäßigen Titel bemänteln können. Diese Meinung ist von
ihrem Urheber nicht genau überlegt und kritiklos geglaubt worden. Denn
weder der Name noch das Amt des Diktators brachte Rom in
Knechtschaft, sondern die Gewalt, die sich Bürger durch die lange Dauer
ihrer Herrschaft anmaßten. Hätte in Rom der Diktatortitel gefehlt, so
hätte man einen andern gefunden, denn die Macht schafft sich leicht
ihren Namen und nicht der Name die Macht. Man sieht ja auch, daß die
Diktatur, solange sie gesetzmäßig erteilt und nicht angemaßt wurde, der
Stadt nur Gutes gebracht hat. Denn den Republiken schaden nur Ämter
und Gewalten, die auf ungesetzlichem Wege erteilt oder angemaßt
werden, nicht die auf ordentlichem Wege erlangten. So sieht man in Rom
in einer langen Reihe von Jahren, daß alle Diktatoren der Republik lauter
gute Dinge geleistet haben. Die Gründe dafür sind einleuchtend. Erstens
muß ein Bürger, der Schaden tun und sich eine ungesetzliche Gewalt
anmaßen könnte, viele Eigenschaften besitzen, die er in einer
unverdorbenen Republik nicht besitzen kann. Er muß sehr reich sein,
viele Anhänger und Parteigänger haben, und das ist nicht möglich, wo
die Gesetze beobachtet werden. Hätte er sie aber doch, so sind derartige
Männer so gefürchtet, daß man sie aus freien Stücken nicht wählen wird.
Zudem wurde der Diktator für eine bestimmte Zeit, nicht für immer
ernannt, und auch nur, um das Übel, dessentwegen er ernannt war, zu
beseitigen. Er durfte zwar die Mittel für die Abwendung dieser
dringenden Gefahr aus eigner Machtvollkommenheit wählen, sie ohne
Beratung anwenden und jeden ohne Berufung bestrafen, aber er konnte
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