Page 782 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Aus diesen Gründen war das Gesetz bis zu den Gracchen gleichsam
                eingeschlafen, und als es von ihnen wieder aufgeweckt wurde, richtete es
                die Freiheit Roms völlig zugrunde. Denn es fand jetzt die Macht seiner

                Gegner verdoppelt und entflammte daher solchen Haß zwischen Volk
                und Senat, daß es zu Waffengebrauch und Blutvergießen über alles Maß
                und alle Bürgersitte hinaus kam. Da die öffentliche Gewalt nicht mehr
                abhelfen konnte und auch keine Partei sich mehr auf sie verließ, griff
                man zur Selbsthilfe, und jede Partei war darauf bedacht, sich ein
                Oberhaupt zu seiner Verteidigung zu schaffen. In diesem Aufruhr und in
                dieser Verwirrung wandte sich das Volk an Marius und schenkte ihm sein

                Vertrauen, so daß es ihn viermal zum Konsul wählte, und zwar mit so
                geringen Zwischenräumen, daß er sich selbst noch dreimal zum Konsul
                machen konnte. Der Adel, der gegen diese Seuche nichts machen konnte,
                wandte sich dem Sulla zu und machte ihn zu seinem Haupte. Es kam
                zum Bürgerkrieg, und nach vielem Blutvergießen und wechselvollen
                Schicksalen behielt der Adel die Oberhand. Die Gärung brach dann zu

                Cäsars und Pompejus' Zeiten wieder aus, wo Cäsar sich zum Haupt der
                Partei des Marius und Pompejus der des Sulla machte. Als es zum
                Kampfe kam, blieb Cäsar Sieger und wurde zum ersten Tyrannen Roms.
                Damit hatte Rom seine Freiheit verwirkt.
                     Das war der Anfang und das Ende des Ackergesetzes. Wir haben
                weiter oben gezeigt, wie der Kampf zwischen Volk und Senat Rom frei
                erhielt, weil daraus Gesetze zugunsten der Freiheit entstanden. Obgleich

                das Ende des Ackergesetzes diesem Schluß zu widersprechen scheint,
                gehe ich doch nicht von meiner Meinung ab. Denn der Ehrgeiz der
                Großen ist so mächtig, daß, wenn er in einem Staat nicht auf
                verschiedene Arten und Weisen niedergeschlagen wird, dieser Staat bald
                zugrunde geht. Der Streit um das Ackergesetz währte 300 Jahre, bis er
                Rom in Knechtschaft brachte; er hätte es vielleicht schon früher dahin

                gebracht, hätten die Plebejer durch dies Gesetz wie durch andre
                Forderungen den Ehrgeiz der Patrizier nicht immer noch gezügelt.
                     Man ersieht daraus auch, wieviel höher die Menschen Besitz als
                Ehren schätzen. Denn bei den Ehrenstellen gab der römische Adel dem
                Volke ohne außergewöhnlichen Widerstand nach; als es ihm aber an die
                Habe ging, verteidigte er sie so hartnäckig, daß das Volk, um sein
                Mütchen zu kühlen, zu den oben genannten, gewaltsamen Mitteln griff.

                Die Anstifter dieser Unruhen waren die Gracchen, bei denen mehr die
                Absicht als die Klugheit zu loben ist. Denn es ist unbesonnen, einen
                schon groß gewordenen Mißstand in einer Republik beseitigen zu wollen
                und zu diesem Zweck ein Gesetz zu machen, das weit zurückgreift. Wie





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