Page 780 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Siebenunddreißigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                   Welche Unruhen in Rom durch das Ackergesetz entstanden. Ein
                     Gesetz, das weit zurückgreift und gegen ein altes Herkommen
                             verstößt, wirkt in einer Republik stets aufreizend.


                Es ist ein Wort der alten Schriftsteller, daß die Menschen im Unglück
                kleinmütig, aber des Glücks überdrüssig werden, und daß beide Zustände
                die gleichen Wirkungen zeitigen. Denn sobald die Menschen nicht mehr

                aus Not zu kämpfen brauchen, kämpfen sie aus Ehrgeiz, der im
                Menschenherzen so mächtig ist, daß er sie nie verläßt, wie hoch sie auch
                steigen mögen. Der Grund dafür liegt in der Menschennatur; wir sind so
                beschaffen, daß wir alles begehren, aber nicht alles erreichen können. Da
                nun das Begehren immer stärker ist als die Kraft zum Erringen, so

                entsteht die Unzufriedenheit mit dem, was man besitzt, und die geringe
                Befriedigung daran. Daher kommt der Wechsel des menschlichen
                Glücks; denn da die Menschen teils mehr zu haben wünschen, teils das
                Erworbene zu verlieren fürchten, so kommt es zu Feindseligkeiten und
                Kriegen, die ein Land zugrunde richten und das andre emporheben.
                     Diese Erörterung habe ich angestellt, weil es dem römischen Volke
                nicht genügte, sich durch die Einsetzung der Tribunen gegen die Patrizier

                zu sichern, wozu die Not es gezwungen hatte. Kaum hatte es dies
                erreicht, so begann es aus Ehrgeiz zu kämpfen und wollte mit dem Adel
                Ehrenstellen und Güter teilen, zwei Dinge, die die Menschen am
                höchsten schätzen. Hieraus entstand die Krankheit, die den Streit um das
                Ackergesetz erzeugte und die schließlich zum Untergang der römischen
                Republik führte. Das erste Ackergesetz brachte 486 v. Chr. der Konsul

                Spurius Cassius ein, der aber der Rache der Patrizier zum Opfer fiel.
                »Sein Gesetz«, sagt Th. Mommsen (Römische Geschichte, I, 279), ganz
                wie Machiavelli, »ging mit ihm ins Grab; aber das Gespenst desselben
                stand seitdem den Reichen unaufhörlich vor Augen ..., bis unter den
                Kämpfen darüber das Gemeinwesen zugrunde ging.« 367 gingen nach
                zehnjährigem Kampf die sog. Licinischen Gesetze durch, nach denen
                kein Bürger mehr als 500 Morgen (zu 2500 qm) Acker besitzen durfte.

                Dabei blieb es bis zur Zeit der Gracchen. Tiberius Sempronius Gracchus
                zog das Gesetz 133 v. Chr. als Volkstribun wieder hervor. Danach sollte





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