Page 785 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ihn für ein Jahresgehalt von 36 000 Dukaten zum Feldhauptmann
                nehmen. hatte Faënza erobert und Bologna zu einem Vergleich
                gezwungen. Als er dann durch Toskana nach Rom zurückkehren wollte,

                schickte er einen Gesandten nach Florenz und verlangte freien Durchzug
                für sich und sein Heer. In Florenz beriet man sich, was in der Sache zu
                tun sei, aber keiner riet, es ihm zu gestatten. Man folgte hierin also nicht
                dem römischen Muster. Denn da der Herzog ein starkes Heer hatte und
                die Florentiner so wenig gerüstet waren, daß sie ihm den Durchzug nicht
                verwehren konnten, war es weit ehrenvoller für sie, daß er mit ihrer
                Erlaubnis durchzog als mit Gewalt. Die Schande, die nun ganz auf sie

                fiel, wäre geringer gewesen, wenn sie anders gehandelt hätten.
                     Allein die schlimmste Seite der schwachen Republiken ist ihre
                Unentschlossenheit. Alle Entschlüsse fassen sie nur aus Not, und wenn
                sie einmal etwas Gutes tun, so tun sie es gezwungen und nicht aus
                Klugheit. Ich will dafür noch zwei andre Beispiele anführen, die sich in
                unsrer Stadt Florenz im Jahre 1500 zutrugen. Nachdem König Ludwig

                XII. von Frankreich Mailand zurückerobert hatte, wollte er auch Pisa in
                seine Gewalt bringen, um die 50 000 Dukaten zu erhalten, die ihm die
                Florentiner für die Rückgabe dieser Stadt versprochen hatten. Pisa war
                1405 in die Abhängigkeit von Florenz geraten und hatte 1494 beim
                Einmarsch der Franzosen das lästige Joch abgeschüttelt. In den
                folgenden Jahren machte Florenz zahlreiche vergebliche Versuche, die
                Stadt zu erobern; erst 1509 gelang die Einnahme nach langer

                Belagerung. Machiavellis Anteil daran s. Lebenslauf, 1509. Er schickte
                daher sein Heer gegen Pisa unter der Führung des Herrn von Beaumont,
                der zwar Franzose war, aber das Vertrauen der Florentiner in hohem
                Maße besaß. Das Heer rückte zwischen Cascina und Pisa vor, um die
                Stadtmauern anzugreifen, und brachte ein paar Tage mit den
                Vorbereitungen zum Sturm zu. Da kamen Abgeordnete aus Pisa zu

                Beaumont und boten ihm an, die Stadt den Franzosen unter der
                Bedingung zu übergeben, daß er im Namen des Königs verspräche, sie
                nicht vor vier Monaten an die Florentiner auszuliefern. Dieser Vorschlag
                wurde von den Florentinern durchaus verworfen; die Belagerung nahm
                ihren Fortgang und wurde mit Schanden abgebrochen. Und zwar verwarf
                Florenz den Vorschlag nur deshalb, weil es dem Wort des Königs
                mißtraute, während es sich doch aus Unüberlegtheit vollkommen in seine

                Hände gegeben hatte. Florenz traute ihm also nicht, sah aber nicht ein,
                wieviel besser es gewesen wäre, wenn der König in den Besitz von Pisa
                gelangt und es dann an Florenz abgetreten, oder wenn er dies nicht tat,
                seine Gesinnung offenbart hätte, während er die Rückgabe nun





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