Page 787 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neununddreißigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Bei verschiednen Völkern sieht man oft die gleichen Ereignisse.
Bei Betrachtung der gegenwärtigen und alten Begebenheiten erkennt
man leicht, daß bei allen Städten und Völkern von jeher die gleichen
Wünsche und Stimmungen herrschten. Wer also sorgfältig die
Vergangenheit untersucht, kann leicht die zukünftigen Ereignisse in
jedem Staate vorhersehen und dieselben Mittel anwenden, die von den
Alten angewandt wurden, oder wenn er keine angewandt findet, kann er
bei der Ähnlichkeit der Ereignisse neue ersinnen. Aber die Leser
unterlassen solche Betrachtungen oder verstehen sie nicht anzustellen,
und wenn sie es auch verstehen, so kommen sie doch nicht zur Kenntnis
der Regierung, und so kehren zu jeder Zeit die gleichen
Unzuträglichkeiten wieder. Für diesen Gedankengang vgl. Plutarch,
Sertorius, I, und Thukydides, I, 21 und 138; III, 82.
Als Florenz im Jahre 1494 einen Teil seines Gebiets, Pisa und andre
Städte, verloren hatte, S. Lebenslauf, 1494, und S. 89, Anm. 113. mußte
es mit denen, die sie besetzt hielten, Krieg führen. Da diese aber mächtig
waren, so wurde bei dem Kriege viel Geld ohne irgendeinen Nutzen
verausgabt. Die vielen Ausgaben verursachten viele Auflagen, und diese
endlose Klagen des Volkes. Da nun der Krieg von einem Rate von zehn
Männern geleitet wurde, Machiavelli war 1498–1512 Kanzler dieser
Behörde, die damals die Zehn für Frieden und Freiheit hießen. (S.
Lebenslauf, 1498.) die die Zehn des Krieges hießen, so begann das Volk
gegen sie zu murren, als wären sie die Ursache des Krieges und der
Ausgaben, und es wähnte, mit ihrer Beseitigung wäre auch der Krieg
beseitigt. Als daher die Zeit der Neuwahlen kam, wurden keine neuen
gewählt und ihre Geschäfte der Signoria übertragen. Dieser Entschluß
war äußerst verderblich; denn er machte nicht nur dem Kriege kein Ende,
wie die Menge gewähnt hatte, sondern durch die Entfernung der Männer,
die ihn mit Einsicht geleitet hatten, riß auch solche Unordnung ein, daß
außer Pisa auch Arezzo und viele andre Städte verlorengingen. Nun erst
sah das Volk seinen Irrtum ein. Es erkannte, daß das Fieber und nicht der
Arzt die Ursache des Fiebers war, und setzte den Rat der Zehn wieder
ein.
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