Page 791 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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werden, in diese Lage gebracht hatte.) Dem Adel aber war die Betrübnis

                des Volkes erwünscht, ut ipsi, taedio praesentium, consules
                desiderarent Ebd. 37. (damit es aus Überdruß an den jetzigen Männern

                Konsuln verlangte). Das Ende des Jahres rückte heran; die beiden
                Gesetzestafeln waren fertig, aber noch nicht veröffentlicht. Das
                benutzten die Dezemvirn, um im Amte zu bleiben. Sie begannen die
                Regierung gewaltsam zu führen und sich eine Leibwache aus der adligen
                Jugend zu bilden, der sie die Güter der Verurteilten schenkten. Quibus
                donis iuventus corrumpebatur, et malebat licentiam suam quam
                omnium libertatem. Livius III, 37. (Durch solche Geschenke verdorben,
                wollte die Jugend lieber ihre eigne Ungebundenheit als die öffentliche
                Freiheit.)
                     Zu dieser Zeit erklärten die Sabiner und Volsker den Römern den

                Krieg. In ihrer Bedrängnis begannen die Dezemvirn die Schwäche ihrer
                Regierung einzusehen. Denn ohne den Senat konnten sie keinen Krieg
                führen, und versammelten sie den Senat, so schien ihnen ihre Herrschaft
                verloren. Trotzdem taten sie notgedrungen das letztere. Das folgende
                nach Livius III, 39, 41, 44 ff. Als aber der Senat versammelt war,
                sprachen viele Senatoren, besonders L. Valerius und M. Horatius, gegen

                den Übermut der Dezemvirn, und ihre Herrschaft wäre völlig zu Ende
                gewesen, hätte der Senat nicht aus Mißgunst gegen das Volk vermieden,
                sein Ansehen geltend zu machen. Hielt er es doch bei freiwilliger
                Amtsniederlegung der Dezemvirn für möglich, daß die Volkstribunen
                nicht wiedergewählt würden. Der Krieg wurde also beschlossen, und
                zwei Heere unter Anführung eines Teils der Dezemvirn zogen aus.
                Appius blieb zur Regierung der Stadt zurück und verliebte sich in

                Virginia. Als er sie mit Gewalt entführen wollte, wurde sie von ihrem
                Vater Virginius erstochen, um sie zu befreien. Aufstände in Rom und bei
                den Heeren waren die Folge. Diese vereinigten sich mit dem Rest des
                Volkes und zogen auf den Heiligen Berg, wo sie lange blieben, bis die
                Dezemvirn ihr Amt niederlegten, Tribunen und Konsuln gewählt wurden
                und Rom seine alte Freiheit zurückerhielt.

                     Bei diesen Ereignissen ist zunächst zu bemerken, daß in Rom das
                Übel einer Tyrannenherrschaft aus denselben Ursachen entsprang wie in
                den meisten Freistaaten, nämlich aus dem übermäßigen Verlangen des
                Volkes nach Freiheit und dem übermäßigen Verlangen des Adels nach
                Herrschaft. Können sie sich über ein Gesetz zugunsten der Freiheit nicht
                einigen, sondern eine von beiden Parteien verfällt darauf, einen Mann zu
                begünstigen, dann ist sogleich die Tyrannei da. Das Volk und die

                Patrizier von Rom waren übereingekommen, die zehn Männer zu





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