Page 793 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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einigen Adligen gesichert hatte, verteidigte er sich mit Hilfe des Volkes,
                das er zum Freunde hatte. Das hätte er nicht tun können, wenn es sein
                Feind gewesen wäre.

                     Im umgekehrten Falle, wo man nur wenige Freunde im Innern hat,
                genügen die eignen Streitkräfte nicht, sondern man muß sie auswärts
                suchen. Diese können von dreierlei Art sein: Erstens man nimmt eine
                fremde Leibwache; zweitens man bewaffnet das Landvolk, das dann an
                Stelle des niederen Volkes tritt; drittens man schließt ein Schutzbündnis
                mit mächtigen Nachbarn. Wer diese Wege einschlägt und sie genau
                innehält, dürfte sich, auch wenn er das Volk zum Feinde hat,

                einigermaßen sichern können. Allein Appius konnte das Landvolk nicht
                für sich gewinnen, da die Land- und Stadtbevölkerung dasselbe war, und
                was er hätte tun können, verstand er nicht, so daß er schon gleich im
                Anfang zugrunde ging. Auch Senat und Volk begingen bei Ernennung
                der Dezemvirn die größten Fehler. Wir haben zwar oben über den
                Diktator gesagt, S. Kap. 34. daß die Behörden, die sich selbst dazu

                machen, der Freiheit schädlich sind, nicht die, die das Volk ernennt.
                Nichtsdestoweniger muß das Volk, wenn es Behörden einsetzt, dafür
                sorgen, daß sie einige Scheu davor haben, Böses zu tun. Anstatt ihnen
                Wächter zu bestellen, damit sie gut bleiben, nahmen die Römer diese
                fort, indem sie den Dezemvirn alle Macht übertrugen und alle andern
                Behörden aufhoben. Der Senat tat dies, weil er, wie wir oben gesehen
                haben, darauf brannte, die Tribunen abzuschaffen, das Volk, weil es

                darauf brannte, die Konsuln abzuschaffen, und dies Verlangen machte
                beide Teile so blind, daß sie zu der allgemeinen Verwirrung beitrugen.
                Denn die Menschen machen es, wie König Ferdinand Vermutlich
                Ferdinand I. von Neapel (1458-94). sagte, wie gewisse kleine
                Raubvögel, die mit solcher Gier ihre Beute verfolgen, daß sie den großen
                Vogel nicht sehen, der über ihnen schwebt, um sie zu töten. Dies Kapitel

                zeigt also, wie ich zu Anfang gesagt habe, die Fehler des römischen
                Volkes, als es seine Freiheit retten, und die Fehler des Appius, als er sich
                der Alleinherrschaft bemächtigen wollte.






















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