Page 792 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ernennen und sie mit so großer Machtbefugnis auszustatten, weil beide
                Teile den gleichen Wunsch hatten, der eine das Konsulat, der andre das
                Tribunat abzuschaffen. Da es nach der Wahl den Plebejern erschien, daß

                Appius volksfreundlich geworden sei und den Adel bedrückte, wandte
                ihm das Volk seine Gunst zu. Läßt sich aber ein Volk zu dem Fehler
                verleiten, einem Manne Ansehen zu geben, damit er die bedrückt, die es
                haßt, und dieser eine ist klug, so wird er allemal Tyrann dieser Stadt
                werden. Denn mit Hilfe der Volksgunst wird er danach trachten, den
                Adel zu vernichten, und erst dann zur Unterdrückung des Volkes
                schreiten. Wird dieses dann seiner Knechtschaft gewahr, so hat es

                niemand mehr, zu dem es seine Zuflucht nehmen kann. Für diesen
                Gedankengang vgl. Aristoteles, Politik, VIII, 8,1.
                     Diesen Weg schlugen alle ein, die eine Tyrannenherrschaft in einer
                Republik aufgerichtet haben, und hätte Appius so gehandelt, so hätte
                seine Tyrannis mehr Fuß gefaßt und wäre nicht so bald zu Ende
                gewesen. Allein er tat genau das Gegenteil und konnte sich nicht

                unklüger benehmen. Denn um die Herrschaft zu behalten, machte er sich
                die zu Feinden, die sie ihm verliehen hatten und sie ihm erhalten
                konnten, und stellte sich gut mit denen, die nichts dazu beigetragen
                hatten und sie ihm nicht erhalten konnten. Er verlor also seine wirklichen
                Freunde und suchte die zu Freunden, die seine Freunde nicht sein
                konnten. Denn wenn auch die Adligen nach Alleinherrschaft streben, ist
                doch der Teil des Adels, der von dieser Herrschaft ausgeschlossen ist,

                dem Tyrannen stets feindlich gesinnt. Und dieser kann den Adel wegen
                seiner großen Herrschsucht und Habsucht nie ganz gewinnen, da der
                Tyrann nie über so viele Reichtümer und Ehrenstellen verfügt, um alle
                zufriedenzustellen. So machte denn Appius, indem er das Volk im Stiche
                ließ und sich zum Adel schlug, den augenscheinlichsten Fehler, sowohl
                aus den angeführten Gründen wie deshalb, weil der Zwingherr, um etwas

                mit Gewalt zu halten, mächtiger sein muß als der Bezwungene. Daher
                kommt es auch, daß die Tyrannen sichrer sind, die die Menge zum
                Freund und die Großen zu Feinden haben, weil ihre Gewalt eine stärkere
                Grundlage hat, als wenn sie das Volk zum Feinde und den Adel zum
                Freunde haben. Daß der Tyrann das Volk gewinnen und die Großen
                unterdrücken müsse, lehrte Aristoteles, Politik, VIII, 8,7. Das rechte
                Verhältnis zwischen Zwingherr und Bezwungenen bei Thukydides, V, 89

                und 105. Denn im Besitz der Volksgunst genügen die eignen Streitkräfte,
                um sich zu behaupten, wie sie für Nabis, den Tyrannen von Sparta,
                hinreichten, als ganz Griechenland und das römische Volk ihn angriffen.
                195 v. Chr. S. Kap. 10 und Livius XXXIV, 22 ff. Nachdem er sich vor





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