Page 797 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Vierundvierzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Eine Menge ohne Haupt ist unnütz, und man muß nicht zuerst
drohen und dann Gewalt verlangen.
Das Volk von Rom hatte sich wegen des Vorfalls mit Virginia bewaffnet
auf den Heiligen Berg zurückgezogen. Der Senat schickte Gesandte, um
zu fragen, mit welcher Befugnis es seine Feldherren verlassen hätte und
auf den Berg gezogen sei. Und der Senat stand in so hohem Ansehen,
daß in Ermangelung eines Führers keiner aus dem Volke zu antworten
wagte. Wie Titus Livius III, 50. sagt, fehlte es nicht an Stoff zum
Antworten, sondern an einem, der die Antwort gab. Das zeigt deutlich,
wie wenig die Menge ohne Haupt vermag. Virginius erkannte diesen
Übelstand, und auf sein Anstiften wählte man zwanzig Kriegstribunen zu
Oberhäuptern, die dem Senat antworten und mit ihm verhandeln sollten.
Sie verlangten, daß man ihnen den Valerius und Horatius S. Kap. 40.
schicke, denen sie ihren Willen mitteilen wollten. Aber diese wollten
nicht eher hingehen, als die Dezemvirn ihr Amt niedergelegt hatten. Als
sie auf dem Berge bei dem Volk ankamen, verlangte dieses, daß
Volkstribunen gewählt würden, daß die Berufung ans Volk gegenüber
jeder Behörde erlaubt sein sollte und daß ihnen alle Dezemvirn
ausgeliefert würden, da sie sie lebendig verbrennen wollten. Valerius und
Horatius billigten die ersten Forderungen, tadelten aber die letzte als
gottlos mit den Worten: Crudelitatem damnatis, in crudelitatem
ruitis. Livius sagt (III, 53): Crudelitatis odio in crudelitatem ruitis. (Ihr
verdammt die Grausamkeit und stürzt euch selbst hinein.) Sie rieten dem
Volke, die Dezemvirn gar nicht zu erwähnen und nur auf die
Wiederherstellung seiner Macht und Gewalt zu sinnen; dann werde es
ihm an Mitteln zur Genugtuung nicht fehlen. Hieraus ersieht man
deutlich, wie töricht und unüberlegt es ist, Gewalt zu verlangen und
vorher zu drohen: Ich will etwas Böses damit tun. Denn man muß seine
Absicht nicht verraten, sondern seinen Wunsch erst in jeder Weise zu
erreichen suchen. Es genügt, einem die Waffen abzufordern, ohne zu
sagen: Ich will dich damit umbringen. Denn hat man die Waffen in
Händen, so kann man ja sein Gelüst befriedigen.
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