Page 799 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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hielt, niemals dessen Übertreter verdammte, noch den Bruch
entschuldigte, als ob er die Tat, weil sie ihm gelegen kam, nicht
verdammen wollte und sie auch nicht entschuldigen konnte. Das
offenbarte seinen ehrgeizigen und parteiischen Sinn, brachte ihn um
seinen Ruf und zog ihm viele Vorwürfe zu.
Sehr schädlich ist es auch für einen Staat, wenn man jeden Tag durch
neue Unbill, die man diesem oder jenem zufügt, immer neuen Unwillen
bei den Bürgern erweckt, wie es in Rom nach der Zeit der Dezemvirn
geschah. Denn alle Dezemvirn und andre Bürger wurden zu
verschiedenen Zeiten angeklagt und verurteilt, so daß der größte
Schrecken unter dem Adel herrschte. Er glaubte, diese Hinrichtungen
würden nie ein Ende nehmen, bis der ganze Adel ausgerottet wäre.
Livius III, 58 f. Großes Unheil wäre daraus in Rom entstanden, hätte
nicht der Tribun Marcus Duillius durch ein Edikt vorgebeugt, wonach
ein Jahr lang keinem erlaubt sein sollte, einen römischen Bürger
vorzuladen oder anzuklagen, was den ganzen Adel beruhigte.
Man sieht daraus, wie schädlich es für eine Republik oder für einen
Fürsten ist, die Gemüter der Untertanen durch fortwährende Strafen und
Unbill in Angst und Bangen zu halten. Es gibt gar kein verderblicheres
Verfahren, denn fürchten die Menschen erst um ihr Leben, so suchen sie
sich auf alle Weise vor der Gefahr zu sichern, werden kühner und
scheuen sich weniger vor Umwälzungen. Darum muß man entweder nie
einen verletzten oder das ganze mit einem Mal abmachen, dann aber die
Menschen wieder beruhigen und ihnen Grund geben, ihre Furcht zu
verbannen.
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