Page 802 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Siebenundvierzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Die Menschen täuschen sich zwar im ganzen, aber nicht im
einzelnen.
Das römische Volk hatte, wie oben gesagt, S. Kap. 39. einen Haß auf den
Konsultitel gefaßt und verlangte, daß entweder nur Plebejer zu Konsuln
gewählt oder daß ihre Gewalt beschränkt würde. Da schlug der Adel
einen Mittelweg ein, um die Konsulwürde durch keins dieser Mittel
herabzusetzen. Er willigte darein, daß vier Tribunen mit konsularischer
Gewalt ernannt würden, die aus dem Volk wie aus dem Adel genommen
werden konnten. 445 v. Chr. Damit war das Volk zufrieden, denn es
glaubte, das Konsulat sei damit abgeschafft und es habe seinen Anteil an
der höchsten Würde erlangt. Dabei ereignete sich das Merkwürdige, daß
bei der Wahl dieser Tribunen, die man alle aus den Plebejern hätte
nehmen können, lauter Adlige gewählt wurden. Titus Livius sagt
darüber: Quorum comitiorum eventus docuit, alios animos in
contentione libertatis et honoris, alios secundum deposita
certamina in incorrupto iudicio ess. Livius IV, 6. (Das
Wahlergebnis lehrte, daß man anders gesinnt ist im Streit um Freiheit
und Ehre als nach beigelegtem Streit bei unbefangenem Urteil.) Der
Grund dafür liegt meines Erachtens darin, daß die Menschen sich über
das Ganze häufig, über das Einzelne aber selten täuschen. Im Ganzen
glaubte das römische Volk das Konsulat zu verdienen, weil es den
größten Teil der Stadt ausmachte, im Kriege die größere Gefahr trug,
weil es mit seinen Armen Rom frei und mächtig erhielt. Da ihm also sein
Anspruch vernünftig erschien, so wollte es durchaus in Besitz dieser
Würde gelangen. Als es aber über seine Leute im Einzelnen zu urteilen
hatte, erkannte es ihre Schwäche und hielt keinen von ihnen dessen für
würdig, was es in seiner Gesamtheit zu verdienen meinte. Es schämte
sich ihrer und wandte sich wieder an die, die es wirklich verdienten.
Über diesen Entschluß ist Titus Livius mit Recht erstaunt, wenn er sagt:
Hanc modestiam aequitatemque et altitudinem animi, ubi nunc
in uno inveneris, quae tunc populi universi fuit? Livius IV, 6.
(Solche Bescheidenheit, Billigkeit und Hoheit der Gesinnung, wie sie
damals dem ganzen Volk eigen war, wo fände man sie jetzt bei einem
einzigen?)
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