Page 807 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Herrschaft gelebt hatte. Es blieb daher eine Zeitlang unterwürfig und
                dachte nicht an sich selbst. Als dann die Gelegenheit aufzuatmen kam,
                begann es seine eignen Einrichtungen zu machen; da sie aber mit den

                alten, schlechten vermischt waren, konnten sie nicht gut sein. So
                schleppte sich Florenz in den 200 Jahren hin, von denen man sichre
                Nachrichten hat, ohne jemals einen Zustand erreicht zu haben, der mit
                Recht den Namen Republik verdient hätte. Die gleichen Hindernisse
                aber, die Florenz im Wege standen, finden sich stets bei allen Städten
                gleichen Ursprungs. Obwohl häufig durch öffentliche und freie
                Abstimmung einigen Bürgern ausgedehnte Vollmacht zur Reform der

                Verfassung erteilt ward, haben diese ihre Macht doch niemals zum
                allgemeinen Besten, sondern zum Vorteil ihrer Partei benutzt, was nicht
                Ordnung, sondern größere Unordnung hervorrief. Kommen wir auf ein
                einzelnes Beispiel.
                     Der Ordner einer Republik hat unter anderm auch zu erwägen, in
                wessen Hände er das Recht über Leben und Tod seiner Mitbürger legen

                soll. Das war in Rom gut eingerichtet, da man in der Regel an das Volk
                appellieren konnte. Kam einmal ein wichtiger Fall vor, wo die
                Verzögerung der Vollstreckung durch die Berufung ans Volk gefährlich
                gewesen wäre, so blieb der Ausweg eines Diktators, der das Urteil
                unmittelbar vollstreckte, ein Mittel, das man indes nur im Notfalle
                benutzte. In Florenz aber und den übrigen, anfangs unfreien Städten war
                diese Gewalt einem Fremden übertragen, der im Auftrag des Fürsten sein

                Amt versah. Als Florenz dann frei wurde, ließ es diese Gewalt einem
                Fremden, den man Capitano nannte. Das Gerichtswesen unterstand seit
                1207 einem fremden Ritter, dem Podestà, seit 1293 dem Gonfaloniere
                della Giustizia. Da dieser aber leicht von mächtigen Bürgern bestochen
                werden konnte, so war die Einrichtung höchst verderblich. Als sie sich
                später im Wechsel der Verhältnisse änderte, wählte man acht Bürger an

                Stelle des Hauptmanns. Statt einer schlechten Einrichtung hatte man nun
                die allerschlimmste, und zwar aus dem weiter oben erörterten Grunde, S.
                Kap. 7. daß die Wenigen stets die Diener der Wenigen und Mächtigsten
                waren. Davor hat sich die Republik Venedig gesichert, wo gleichfalls der
                Rat der Zehn jeden Bürger ohne Berufung bestrafen kann. S. Seite 81,
                Anm. 102. Weil aber diese zur Bestrafung der Mächtigen nicht
                hinreichen würden, obwohl sie das Recht dazu haben, so richtete man die

                Quarantien Zwei Gerichtshöfe für Zivilsachen, einer für Kriminalsachen.
                ein und bestimmte zudem, daß der Rat der Pregadi, d. h. der Große Rat,
                sie bestrafen kann. Ist also ein Ankläger da, so fehlt auch der Richter
                nicht, um die Mächtigen im Zaum zu halten.





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