Page 812 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zweiundfünfzigstes Kapitel



                                                  Inhaltsverzeichnis






                   Um den Übermut eines Mannes zu zügeln, der in einer Republik
                      zuviel Macht erlangt hat, gibt es kein sichereres und weniger
                    anstößiges Mittel, als ihm die Wege zu verlegen, auf denen er zu
                                               seiner Macht gelangt.


                Wir sahen im vorigen Kapitel, welches Ansehen sich der Adel beim
                Volke durch die Beweise seiner Fürsorge erwarb, die er sowohl durch die

                Einführung des Soldes wie durch die Verteilung der Steuern gab. Wäre
                der Adel so fortgefahren, so wäre allen Unruhen in Rom der Boden
                entzogen und den Tribunen ihr Einfluß beim Volke und somit ihre Macht
                genommen worden. In der Tat kann man in einer Republik, und
                besonders in einer verderbten, dem Ehrgeiz eines Bürgers auf keine

                bessere, weniger anstößige und leichtere Art entgegentreten, als wenn
                man ihm die Wege verlegt, auf denen man ihn seinem Ziel
                entgegenstreben sieht.
                     Hätte man dies Verfahren gegen Cosimo de' Medici S. Kap. 33.
                angewandt, so wäre das für seine Gegner weit besser gewesen, als ihn
                aus Florenz zu vertreiben. Hätten nämlich seine Nebenbuhler das Volk in
                seiner Art begünstigt, so wanden sie ihm ohne Aufruhr und Gewalttat

                seine wichtigsten Waffen aus der Hand. Piero Soderini S. Kap. 7, Anm.
                22, und Buch III, Kap. 3. Seine Gegner waren die Anhänger der Medici.
                hatte sich allein dadurch Ansehen in Florenz verschafft, daß er die
                Menge begünstigte, was ihm den Ruf eines Freundes der städtischen
                Freiheit erwarb. Gewiß war es für die, die ihm seine Größe neideten, viel
                leichter, auch viel ehrbarer, ungefährlicher und der Republik weniger

                verderblich, ihm die Wege zu verlegen, auf denen er groß wurde, als sich
                ihm zu widersetzen und die ganze Republik in seinen Sturz zu
                verwickeln. Denn wenn sie ihm die Waffen aus der Hand wanden, die
                ihn stark machten, und das war ein leichtes, so hätten sie sich ihm in
                allen Ratsversammlungen, bei allen öffentlichen Beratungen ohne alle
                Scheu und Rücksicht widersetzen können. Mag man auch einwenden,
                daß nicht nur seine Gegner einen Fehler begingen, da sie ihm nicht die

                Wege verlegten, auf denen er zu Ansehen beim Volke gelangte, sondern
                daß auch Piero den Fehler beging, seinen Gegnern nicht die Mittel zu





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