Page 815 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Erwägt man indes, wozu sich ein Volk leicht und wozu es sich
schwer überreden läßt, so ist folgender Unterschied zu machen.
Entweder zeigt das, wozu du das Volk überreden willst, auf den ersten
Anblick Gewinn oder Verlust, oder es erscheint als ein mutiger oder ein
feiger Entschluß. Zeigt sich nun bei einem Vorschlag, den man dem Volk
macht, ein Gewinn, obwohl ein Verlust damit verbunden ist, und
erscheint er mutig, obwohl er den Untergang der Republik bedeutet, so
wird sich die Menge stets leicht überreden lassen. Dagegen wird es
immer sehr schwer sein, sie zu Entschlüssen zu bringen, die nach
Feigheit oder Verlust aussehen, auch wenn Heil und Gewinn damit
verbunden sind. Dies wird durch zahlreiche Beispiele, römische und
fremde, alte und neue, bestätigt. So entstand in Rom eine Mißstimmung
gegen Fabius Maximus, weil er dem römischen Volk nicht beibringen
konnte, daß es für die Republik vorteilhafter sei, den Krieg gegen
Hannibal in die Länge zu ziehen und sich auf keinen Kampf einzulassen;
denn das Volk hielt diesen Plan für feig und sah den Nutzen davon nicht
ein, und Fabius konnte ihm diesen Nutzen nicht mit hinreichenden
Gründen beweisen. Livius XXII, 15 ff.
Wie blind die Völker in ihren kühnen Entschlüssen sind, zeigt das
Beispiel der Römer. Das Volk hatte den Fehler begangen, dem
Reiterobersten des Fabius Marcus Minucius Rufus. Vgl. Livius XXII, 27
f. die Vollmacht zu geben, sich auch gegen den Willen des Diktators in
einen Kampf einzulassen. Infolge dieser Vollmacht wäre das Heer
beinahe vernichtet worden, hätte Fabius durch seine Klugheit nicht
Abhilfe gefunden. Unbeirrt durch diese Erfahrung, wählte das Volk
später den Varro Gajus Terentius Varro. Vgl. Livius XXII, 35. zum
Konsul, dessen ganzes Verdienst darin bestand, daß er auf allen Plätzen
und an allen öffentlichen Orten Roms versprochen hatte, den Hannibal
zu vernichten, sobald man ihm Gewalt dazu gäbe. Die Folge war die
Schlacht bei Cannae und fast der Untergang Roms.
Ich will hierfür noch ein zweites römisches Beispiel anführen.
Hannibal war schon acht bis zehn Jahre in Italien gewesen und hatte das
ganze Land mit römischen Leichen bedeckt. Da erschien im Senat
Marcus Centenius Paenula, ein Mann aus dem niedersten Volke, der
jedoch einen Rang im Heer bekleidet hatte, und erbot sich, wenn man
ihm Vollmacht gäbe, überall in Italien, wo er wolle, Freiwillige zu
werben, den Hannibal in kürzester Zeit lebend oder tot auszuliefern. Vgl.
Livius XXV, 19. Dem Senat schien dieser Antrag zwar tollkühn; er sagte
sich aber, wenn man ihn ablehnte und das Volk es erführe, so könnten
daraus Unruhen, Mißvergnügen und Unwille gegen den Senatorenstand
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