Page 819 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Fünfundfünfzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Städte, in denen keine Sittenverderbnis herrscht, lassen sich leicht
regieren. Wo Gleichheit herrscht, läßt sich keine Monarchie, wo sie
nicht herrscht, keine Republik einführen.
Obgleich schon vielfach erörtert wurde, was von verderbten Staaten zu
fürchten oder zu hoffen ist, scheint es mir doch nicht unpassend,
Betrachtungen über einen Senatsbeschluß anzustellen, der sich auf das
Gelübde des Camillus bezog, den zehnten Teil der Beute von Veji dem
Apollo zu weihen. Da nämlich diese Beute schon in Händen des Volkes
und in keiner Weise mehr nachzurechnen war, erließ der Senat ein Edikt,
daß jeder den zehnten Teil dessen, was er erbeutet hatte, öffentlich
darbringen solle. Livius V, 23 ff. Der Beschluß kam zwar nicht zur
Ausführung, denn der Senat ergriff nachher andre Mittel, um die Schuld
an Apollo zur Zufriedenheit des Volkes abzutragen; aber man sieht aus
solchen Beschlüssen doch, welches Vertrauen der Senat in die
Rechtschaffenheit des Volkes setzte, da er überzeugt war, es werde jeder
so viel darbringen als in dem Edikt befohlen war. Andrerseits sieht man
auch, daß das Volk nicht daran dachte, das Edikt zu umgehen, indem es
weniger gab, als es sollte. Vielmehr suchte es sich davon zu befreien,
indem es offen seinen Unwillen zeigte.
Dies Beispiel und viele bereits angeführte beweisen, wieviel
Rechtschaffenheit und Frömmigkeit in jenem Volke herrschte, und
wieviel Gutes von ihm zu erwarten war. Und wahrlich, wo diese
Rechtschaffenheit fehlt, läßt sich durchaus nichts Gutes erwarten, so
wenig wie in den Ländern, die heute verderbt sind, wie vor allem Italien,
aber auch Frankreich und Spanien. Wenn man in den letzteren auch nicht
soviel Unordnung sieht wie täglich in Italien, so kommt das nicht sowohl
von der Rechtschaffenheit der Völker, die großenteils verschwunden ist,
sondern daher, daß sie einen König haben, der sie nicht allein durch
seine Tatkraft, sondern auch durch die noch unverdorbene
Staatsverfassung zusammenhält.
In Deutschland dagegen findet man diese Rechtschaffenheit und
Frömmigkeit noch in hohem Maße, und deshalb gibt es dort auch viele
freie Städte, die derart nach ihren Gesetzen leben, daß kein äußerer oder
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