Page 821 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ärgste Feind jeder bürgerlichen Verfassung. In einem solchen Lande
                wäre es unmöglich, eine Republik einzuführen. Hätte aber jemand die
                Macht, einem solchen Lande eine ordentliche Staatsverfassung zu geben,

                so bliebe ihm kein andres Mittel, als eine Monarchie zu gründen. Der
                Grund ist dieser: wo die Menschen so verderbt sind, daß die Gesetze zu
                ihrer Bändigung nicht ausreichen, da muß man ihnen durch eine höhere
                Gewalt Geltung verschaffen. Das aber vermag nur die Hand eines
                Königs, die der übermäßigen Herrschsucht und der Verderbnis der
                Mächtigen mit unumschränkter Gewalt entgegentritt. Das Beispiel
                Toskanas bestätigt meine Behauptung. Dort bestanden lange Zeit auf

                kleinem Räume drei Republiken, Florenz, Siena und Lucca. Die übrigen
                Städte des Landes sind zwar unfrei, aber man sieht doch an ihrer
                Gesinnung und Einrichtung, daß sie sich ihre Freiheit nach Kräften
                erhalten haben oder doch erhalten möchten. Das kommt nur daher, daß
                es in diesem Lande keine Burgherren und keine oder nur ganz wenig
                Edelleute gibt. Vielmehr herrscht so große Gleichheit, daß ein

                einsichtiger Mann, der die Staatsverfassungen des Altertums kennt, hier
                leicht ein freies Staatsleben einführen könnte. Allein zu seinem Unglück
                hat Toskana bis auf die Gegenwart keinen Mann gehabt, der die Macht
                oder die Einsicht dazu gehabt hätte.
                     Ich ziehe daher folgenden Schluß. Wer in einem Lande, wo es viele
                Edelleute gibt, eine Republik gründen will, vermag dies nur, wenn er sie
                vorher alle ausrottet. Wer aber in einem Lande, wo große Gleichheit

                herrscht, ein Königreich oder ein Fürstentum aufrichten will, vermag
                dies nur, wenn er viele ehrgeizige und unruhige Köpfe aus dieser
                Gleichheit hervorzieht und sie zu Edelleuten macht, nicht nur dem
                Namen nach, sondern in der Tat, indem er ihnen Burgen und Güter
                schenkt und sie mit Vorrechten an Besitz und über andre Menschen
                ausstattet. Dann wird er sich in ihrer Mitte und durch sie in der Macht

                erhalten, und sie werden durch ihn ihren Ehrgeiz befriedigen können, die
                übrigen aber ein Joch tragen müssen, das nur Gewalt ihnen aufnötigen
                kann. Ist auf diese Weise ein richtiges Verhältnis zwischen dem
                Zwingherrn und den Bezwungenen hergestellt, Im Sinne von
                Thukydides, V, 89 und 105. so herrscht Ruhe und ein jeder bleibt in
                seinem Stande. Da aber nur ein Mann von seltner Begabung und Macht
                ein zur Republik geeignetes Land zum Königreich und ein zum

                Königreich geeignetes zur Republik machen kann, so haben es zwar
                viele versucht, aber wenige ausgeführt. Denn die Größe des
                Unternehmens schreckt die Menschen teils ab, teils verwirrt sie sie so,
                daß sie gleich zu Anfang Fehler machen.





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