Page 816 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 816

entstehen. Der Senat willigte also ein und wollte lieber alle, die dem
                Paenula folgten, in Gefahr bringen, als neuen Unwillen im Volke
                erregen; denn er wußte wohl, daß ein derartiger Vorschlag sehr geeignet

                war, Beifall zu finden, und daß es sehr schwer war, ihn dem Volke
                auszureden. Paenula zog also mit einem ungeordneten Haufen gegen
                Hannibal aus und war kaum auf diesen gestoßen, als er mit allen, die ihm
                folgten, geschlagen und vernichtet wurde.
                     In Athen konnte Nikias, ein sehr ernster und einsichtsvoller Mann,
                das Volk durchaus nicht davon überzeugen, daß die geplante
                Unternehmung gegen Sizilien 415-413 v. Chr.

                     verkehrt sei. So ward der Beschluß gegen den Willen der
                Vernünftigen gefaßt, und der völlige Ruin Athens war die Folge. Als
                Scipio zum Konsul ernannt war 205 v. Chr. Vgl. Livius XXVIII, 45. und
                einen Feldzug nach Afrika verlangte, durch den er Karthago völlig zu
                vernichten versprach, fand er keinen Anklang beim Senat, der die
                Ansicht des Fabius teilte. Nun drohte er, die Sache vor das Volk zu

                bringen, denn er wußte wohl, wie dergleichen Vorschläge den Völkern
                gefallen.
                     Auch unsre Stadt Florenz liefert Beispiele dafür. Messer Ercole
                Bentivogli, der Anführer der Florentiner Truppen, und Antonio
                Giacomini schritten nach ihrem Sieg über Bartolommeo d' Alviano bei
                San Vincenti zur Belagerung Pisas. S. Lebenslauf, 1505. Das
                Unternehmen wurde auf Messer Ercoles kühne Versprechungen hin vom

                Volke beschlossen, obwohl viele einsichtsvolle Bürger es tadelten; sie
                waren aber ohnmächtig gegenüber dem allgemeinen Willen, der sich auf
                jene kühnen Versprechungen gründete.
                     Es gibt also kein leichteres Mittel, eine Republik, wo das Volk die
                Macht in Händen hat, zugrunde zu richten, als sie in tollkühne
                Unternehmungen zu verwickeln; denn wo das Volk etwas zu sagen hat,

                wird es immer darauf eingehen, und die Andersdenkenden werden kein
                Mittel dagegen haben. Geht aber darüber der Staat zugrunde, so noch
                häufiger die Bürger, die an der Spitze solcher Unternehmungen stehen.
                Erfährt das Volk, das den Sieg als gewiß voraussetzte, die Niederlage, so
                schiebt es die Schuld weder auf das Schicksal, noch auf das Unvermögen
                des Führers, sondern auf seine Bosheit und Unwissenheit und läßt ihn
                dann meist hinrichten oder einkerkern, oder es schickt ihn in die

                Verbannung, wie es zahllosen karthagischen und vielen athenischen
                Feldherren erging. Kein früher errungener Sieg kann ihnen helfen; die
                gegenwärtige Niederlage löscht alles aus. So erging es auch unserm
                Antonio Giacomini. Als er Pisa nicht erobert hatte, wie das Volk es sich





                                                          815
   811   812   813   814   815   816   817   818   819   820   821