Page 814 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Dreiundfünfzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Von einem Trugbild des Guten getäuscht, begehrt das Volk oft seinen
Untergang und läßt sich leicht durch große Hoffnungen und dreiste
Versprechungen hinreißen.
Nach der Eroberung von Veji 396 v. Chr. Vgl. Livius V, 24. kam das
römische Volk auf den Einfall, daß es für Rom vorteilhaft wäre, wenn die
Hälfte der Einwohner nach Veji zöge. Denn da diese Stadt ein großes
Gebiet und viele Häuser habe, auch nahe bei Rom sei, so könne man die
Hälfte der römischen Bürger bereichern, ohne daß bei der Nähe von Veji
der Gang der Staatgeschäfte gestört werde. Der Gedanke schien dem
Senat und den einsichtigen Römern so zwecklos wie schädlich, und sie
erklärten offen, lieber sterben zu wollen, als in diesen Beschluß zu
willigen. Bei dem Streit, der darüber entstand, geriet das Volk derart in
Wut gegen den Senat, daß es zu Kampf und Blutvergießen gekommen
wäre, hätte sich der Senat nicht durch einige alte und geachtete Bürger
gedeckt, deren ehrwürdiges Wesen den Übermut des Volkes zügelte.
Hierbei ist zweierlei zu bemerken. Erstens begehrt das Volk, von
einem Trugbild des Guten getäuscht, oft seinen Untergang. Wird ihm
also nicht von einem Manne, zu dem es Vertrauen hat, begreiflich
gemacht, was gut und was übel ist, so entstehen in einer Republik
zahlreiche Gefahren und Nachteile. Trifft es sich aber, daß das Volk
niemand traut, wie es bisweilen vorkommt, wenn es früher schon durch
die Dinge oder die Menschen getäuscht wurde, so stürzt es sich
notwendig ins Verderben. Deshalb sagte Dante in seiner Abhandlung
»De Monarchia«, das Volk schreie oft: Es lebe mein Tod und es sterbe
mein Leben! Von diesem Mangel an Vertrauen kommt es bisweilen, daß
in Republiken gute Maßregeln nicht ergriffen werden, wie wir es oben
von den Venezianern gesagt haben. Nach der Niederlage bei Agnadello
(Vailà) im Jahre 1509. Vgl. Kap. 6 und Buch III, Kap. 11 und 31. Denn
als sie von vielen Feinden angegriffen wurden, konnten sie sich nicht
entschließen, einen von ihnen, bevor alles verloren war, zu sich
herüberzuziehen, indem sie ihm freiwillig Besitzungen abtraten, die sie
den andern abgenommen hatten, und um derentwegen sich die Fürsten
gegen sie verschworen und ihnen den Krieg erklärt hatten.
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