Page 806 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Neunundvierzigstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Fällt es Städten freien Ursprungs wie Rom schwer, Gesetze zur
Erhaltung der Freiheit zu finden, so ist es für Städte, die von Anfang
an in Unfreiheit lebten, fast unmöglich.
Wie schwer es ist, bei der Einrichtung einer Republik alle zur Erhaltung
der Freiheit nötigen Gesetze vorherzusehen, beweist die Geschichte der
römischen Republik zur Genüge. Denn obwohl ihr zuerst von Romulus,
dann von Numa, Tullus Hostilius und Servius und zuletzt von den eigens
dazu eingesetzten Dezemvirn zahlreiche Gesetze gegeben waren, stellten
sich bei der Regierung der Stadt stets neue Bedürfnisse und die
Notwendigkeit neuer Einrichtungen heraus, so z. B. bei der Einführung
des Zensoramts, 443 v. Chr. Vgl. Livius IV, 8. einer der Einrichtungen,
die Rom so lange frei erhielten. Denn als Roms Sittenrichter waren die
Zensoren das wichtigste Hemmnis der Sittenverderbnis. Allerdings
beging man gleich bei ihrer Einsetzung einen Fehler, da man sie auf fünf
Jahre wählte. Bald aber verbesserte ihn die Klugheit des Diktators
Mamercus, 434 v. Chr. Vgl. Livius IV, 24. der diese Behörde durch ein
neues Gesetz auf achtzehn Monate beschränkte. Die damaligen Zensoren
nahmen dies so übel auf, daß sie den Mamercus aus dem Senat
ausstießen, ein Schritt, der vom Volke und von den Senatoren heftig
getadelt wurde. Da die Geschichte nicht sagt, daß Mamercus etwas
dagegen tun konnte, muß entweder der Geschichtsschreiber oder die
Einrichtung Roms in diesem Punkte mangelhaft sein; denn es taugt
nichts, wenn die Verfassung einer Republik es zuläßt, daß ein Bürger für
Einführung eines der Freiheit dienlichen Gesetzes bestraft werden kann,
ohne Abhilfe zu finden.
Doch kehren wir zu unserm Ausgangspunkt zurück. Bei der
Einsetzung dieser neuen Behörde ergibt sich, daß es schon Städten wie
Rom, die freien Ursprungs waren und sich selbst regierten, sehr schwer
fiel, gute Gesetze zur Erhaltung ihrer Freiheit zu finden. Es ist also kein
Wunder, wenn es für Städte, die von Anfang an in Unfreiheit lebten,
nicht nur schwer, sondern unmöglich ist, sich so einzurichten, daß sie
frei und ruhig leben können. Man sieht dies am besten an Florenz, das
unter den römischen Kaisern entstanden war und stets unter fremder
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