Page 44 - Mariazell 2016
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"Weg der Barmherzigkeit"

kann mich auf meinem Weg verirren. Dann brauche auch ich Menschen, die
mir den Weg zeigen.

Kein Sieger, kein Verlierer

In der Psychologie spricht man davon, dass es nach einem Gespräch nie einen
Sieger oder Verlierer geben darf. Vielmehr spricht man von einer „Win-win“-
Situation, in der beide sich als Gewinner fühlen. Nur dann ist die
Zurechtweisung des Irrenden ein Werk der Barmherzigkeit, wenn sich der
Irrende oder der Sünder als Gewinner fühlt, wenn ihm die Augen aufgehen
und er sein Leben neu anzuschauen vermag, wenn er sich aufrichtet und
gestärkt und zuversichtlich seinen Weg gehen kann.

Die politische Dimension

Irrende zurechtweisen hat auch eine politische Dimension. Es ist unsere
Aufgabe, auf Tendenzen in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen, die
uns in eine falsche Richtung treiben. Da ist die Tendenz, alles nur nach
finanziellen Gesichtspunkten zu sehen oder unser Miteinander immer mehr zu
verrechtlichen. Dabei geht es nicht darum, andere an den Pranger zu stellen
und sie anzuklagen.

Vielmehr ist es unsere Aufgabe, unser eigenes Bewusstsein und das
Bewusstsein der Menschen zu schärfen für Wege, die in die Irre führen. Dichter
haben diese Aufgabe immer wieder übernommen.
In der Bibel waren es die Propheten, die das Volk aufrüttelten und auf falsche
Wege aufmerksam machten. Wir können uns selbst nicht zum Propheten
ernennen, sonst würden wir uns leicht für unfehlbar hinstellen. Aber Jesus
fordert uns dazu auf, in der Gesellschaft auf Wege hinzuweisen, die in die Irre
führen, und gemeinsam nach Wegen zu suchen, die heilsam sind für uns
Menschen.

Podersdorfer Wallfahrt 2016  Seite 39
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