Page 49 - Mariazell 2016
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"Weg der Barmherzigkeit"

behandelt, wer uns entwertet, indem er uns links liegen lässt, der beleidigt uns.

Verzeihen und vergeben.

Dieses Werk der Barmherzigkeit fordert mich auf, denen, die mich beleidigen,
gern zu verzeihen. Viele fühlen sich damit überfordert.

Doch was heißt verzeihen? Das Wort „verzeihen“ kommt von „zeihen“ =
beschuldigen, anschuldigen, anzeigen. Verzeihen bedeutet dann:
Verschuldetes nicht anrechnen, einen Anspruch auf Wiedergutmachung
aufgeben. Im Deutschen verwenden wir fast gleichbedeutend die beiden
Worte „verzeihen und vergeben“.

Vergeben hat jedoch eine etwas andere Bedeutung. Es meint: weggeben,
erlassen, wegschicken. Vergeben ist also nicht etwas Passives. Es hat nichts mit
Nachgeben zu tun.
Wenn wir Vergebung richtig verstehen, ist sie nicht nur ein Werk der
Barmherzigkeit dem Beleidiger gegenüber, sondern auch uns selbst
gegenüber. Es tut uns selbst gut.

Den Schmerz zulassen.

Aber wir müssen Vergebung auch psychologisch richtig verstehen. Vergebung
geschieht für mich in fünf Schritten. Der erste Schritt besteht darin, den Schmerz
nochmals zuzulassen. Ich darf die Beleidigung des anderen nicht verharmlosen
oder zu schnell entschuldigen: „Er hat es ja nicht so böse gemeint.“ Ganz
gleich, wie er es gemeint hat: Mir hat es weh getan. Ich überspringe meinen
Schmerz nicht, sondern schaue ihn nochmals an und fühle mich in ihn hinein.

Wut zulassen.

Der zweite Schritt besteht darin, die Wut zuzulassen. Die Wut ist die Kraft, den,
der mich beleidigt hat, aus mir herauszuwerfen. Ich schaffe eine gesunde

Podersdorfer Wallfahrt 2016  Seite 44
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