Page 22 - engelthaler-rundschau-34-2020
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VIVE LA DIFFERENCE



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                           MÄNNER IN PFLEGEBERUFEN –                                                                                        besteht die Gefahr, dass die Zahl der in der Pflege beschäftigten
                                                                                                                                                        Männer in Deutschland weiter sinken wird.“
                            (FAST) ALLEIN UNTER FRAUEN










           Gesundheits­, Kranken­, Kinderkran ­                                erzogen  worden,  keine  Mädchen  zu               auch  die  pflegenden  Frauen  in  den   kräfte  in  Deutschland  sind  Frauen,   rungsprozesses  gehört  die  Gender­
           ken­,  Altenpfleger  und  Pflegehelfer                              sein  oder  irgendetwas  zu  tun,  was             Einrichtungen  könnten  Männer  eine   der Anteil der weiblichen Führungs­  problematik in den Fokus, da struk­
           sind  vergleichsweise  junge  Berufe,                               mit  weiblichen  Tätigkeiten  zu sam ­             Bereicherung  darstellen.  Insbeson­  kräfte  hingegen  liegt  Schätzungen   turelle Änderungen allein nicht zum
           die  sich  erst  im  Laufe  der  zweiten                              men hängt.                                       dere die Heimunterbringung braucht   zufolge  unter  25%.  Frauen  sind  mit   Auflösen der Geschlechterstereotype
           Hälfte  des  20.  Jahrhunderts  entwi­                                                                                 einen  behutsamen  Umgang,  erfolgt   70% nach wie vor Hauptverantwortli­  führen:  Fürsorglichkeit  und  ähnli -
           ckelt haben und seither immer wei­                                  Laut  Statistischem  Bundesamt  ent-               sie  in  der  Regel  in  einem  Alter,  in    che, wenn es zu einem Pflegefall in   che  Zuschreibungen  sollten  vom
           ter  professionalisiert  wurden.  Ein                               schied  sich  2006  nur  jeder  45.                dem die Anpas sungs fähigkeit an sich   der Familie kommt. Sie leisten durch­  Geschlecht  getrennt  als  berufliche
           Blick  auf  die  Pflege  im  ambulanten                             männliche  Jugendliche  für  einen                 schon  gering  ist,  kommen  gesund­  schnittlich 21 Stunden pro Woche un­  Kompetenzmerkmale  gehandhabt
           und  stationären  Bereich  zeigt,  dass                             Pflegeberuf.                                       heitliche Schwierigkeiten (häufig ein   bezahlte  Sorgearbeit  und  kombinie­  wer den, welche ein  geschlechtsneu-
           überwiegend  Frauen  in  den  Pflege­                                                                                  Krankenhausaufenthalt  unmittelbar   ren  diese  in  65%  der  Fälle  mit   trales Berufsbild ent wer fen wür den.
           berufen beschäftigt sind.                                           Das  Wissen  um  genderspezifische                 davor) hinzu. Den Auswirkungen der   Be rufs tätig keit.
                                                                               Verhaltensweisen  in  Krankheitssitu­              fehlenden gewohnten Lebensbezüge                                    Durch  die  Auffassung  der  Fürsor ­
                                                                               ationen  ist  ein  wichtiger  Aspekt  für          auf  das  psychische  Befinden  muss   Hierbei kommt es zu den bekannten   ge  als  weibliches  Qualitätsmerkmal
           Ohne Frauen läuft nichts                                            die  Gestaltung  individueller,  patien­           neben  der  gesundheitsbezogenen   Problemen der Vereinbarkeit von Fa­  wur de die Emotionsarbeit im Pflege­
                                                                               tenorientierter  Pflege.  So  kann  eine           Fürsorge stärker Rechnung getragen   milie  und  Beruf,  was  zum  Teil  die   beruf bisher zu wenig anerkannt und
           Über 70 Prozent der Hauptpflegeper­                                 optimale  Versorgung  der  Patienten               werden.  Hier  wäre  in  Altersheimen   hohe Teilzeitquote von Frauen belegt.   nicht entsprechend entlohnt. Emo ti ­

           sonen in der Pflege sind Frauen. Seit                               und  Patientinnen  ohne  Geschlech­                ein gendersensibler Ansatz zu begrü-  Frauen,  die  Sorgearbeit  leisten  und   ons arbeit wird in beispielsweise the­
           jeher waren es vor allem Frauen, die                                terkluft  in  der  Prävention  und  The ­          ßen: 80 Prozent der Untergebrachten   dadurch  ihre  Erwerbsar beit  unter-  rapeutischen  Berufen  so wohl  ver­
           im pflegerischen Bereich tätig waren.                               ra pie  möglich  werden.  Ziel  ist  es            sind  Frauen,  80  bis  90  Prozent  der   brechen oder im Stundenumfang re-  gü tet, als auch nicht (nur) als Anlage
           Und auch heute noch wird die Pflege                                 dem zufolge,  die  Genderproblema -                Pflegenden sind ebenfalls Frauen, die   duzieren, werden dauerhaft finanzi-  mit gebracht,  sondern  in  der  Ausbil­

           als klassischer Frauenberuf betrach­                                tik vermehrt zu gewichten und zu er -              Angebote  zur  Beschäftigung,  Bewe-  ell  benachteiligt.  Sie  zahlen  ge rin -   dung erlernt. Glei ches sollte für das
           tet. Das liegt daran, dass sich man­                                forschen.                                          gung, Begegnung sind weiblich aus-  gere Bei träge in das So zial versi che -   angehen de  Pflegepersonal  gelten.
           che Klischees in der Gesellschaft be­                                                                                  gerichtet.  Ein  Ausgleich  in  Richtung     rungs system.          Die  Vermittlung  eines  sol chen  Be ­
           harrlich  halten:  Frauen  seien  von                               Geschlechtersensible  Pflege  beruht               des  männlichen  Identitätsgefühls                                  rufsbildes  nach  außen  sowie  als
           Natur aus fürsorglich und mütterlich,                               auf der Kenntnis der sozialen Prozes­              und den damit einhergehenden Inter-  Nach  Einschätzung  der  deutschen   Leitbild  innerhalb  der  be ruflichen
           quasi biologisch auf Pflege gepolt.                                 se, die Gesundheit und Krankheit be­               essen wäre zu begrüßen.           Wohlfahrtsverbände  be steht  die   Qualifizierung  könnte  mit  den  größ­
                                                                               einflussen, und solcher Prozesse, die                                                Gefahr, dass die Zahl der in der Pfle­  ten  Beitrag  zur  Aufwertung  der
           So  sehr  auch  die  Genderdebatte  in                              sich auf die Pflegepraxis auswirken.               Im professionellen Pflegebereich bil­  ge beschäftigten Männer in Deutsch­  Pfle ge arbeit  für  beide  Geschlechter
           die einzelnen Gesellschaftsfelder Ein ­   Im  Angesicht  dieser  Probleme  er-  Beispielsweise „alte Männer“ benö-     det  sich  ebenfalls  die  tradierte  Vor­  land weiter sinken wird. Als Begrün­  leisten.
           zug gehalten hat, in der alltäglichen   schienen  Geschlechterverhältnisse   tigen in manchen Situationen „pfle-       stellung  ab,  dass  der  Bereich  der   dung  hierfür  wird  die  Abschaffung
           Pflegepraxis wurde das Thema wei­  im  Berufsbild  eher  als  ein  auf  der   gende  Männer“,  die  sie  als  Män -    körperlichen  Pflege  ein  weibliches   des  Zivildienstes  genannt.  12 %     Das Berufsbild muss attraktiver ge-
           testgehend  ignoriert.  Aspekte  wie   Tagesordnung  weit  nach  hinten  ge-  ner  wahrnehmen  und  männli chen        Betätigungsfeld  ist,  Männer  hin­  aller  Zivildienstleistenden  blieben   staltet werden. Eine Kultur der Pfle-
           Fachkräftemangel, starker Rationa-  rücktes „Luxusthema“.           Interessen  und  Ausdrucksformen                   gegen  eine  „natürliche  Begabung“     entgegen  ihrer  vorher  geäußerten   ge hängt maßgeblich von einer Kul-
           lisierungsdruck  und  vermehrt  auf-                                Raum  verschaffen.  Ein  Wunsch  der               für  leitende  Positionen  innehaben.   Berufswünsche im sozialen Bereich.  tur der Wertschätzung für diejenigen
           kommende  seelische  Krankheiten   Unsere  Welt  ist  aber  eine  Männer­  Pflegebedürftigen  nach  gleichge­          „Männer in der Pflege erhalten eine                                 ab, die in der Pflege tätig sind.
           durch  hohen  Arbeitsdruck  prägen   welt.  Männer  werden  als  nicht  so   schlechtlicher Pflege ist ohne männ­      patriarchale Dividende, da sie häufi­  Der  Pflegeberuf  muss  dringend
           die Berufspraxis im Gesundheitswe-  männlich angesehen, wenn sie in die   liches Personal nicht zu realisieren.        ger in Führungspositionen im Pflege­  stärker  professionalisiert  werden.
           sen, insbesondere im Pflegebereich.   Pflege gehen. Und Männer sind dazu   Aber auch für die zu pflegenden wie         bereich  arbeiten.“  75%  der  Pflege­  Im  Rahmen  dieses  Professionalisie­




     22     Autorin: Susanne Rissmann, Leitung Weiterbildung Pflege in der Psychiatrie der Bezirkskliniken Mittelfranken  2020 / Ausgabe 34  2020 / Ausgabe 34                                                                           23
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